Kolumne:Tiroler Eroberer

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Die deutsch-österreichische Grenze verläuft über den Westgipfel der Zugspitze, die vor 200 Jahren zum ersten Mal bestiegen wurde.

Von Dominik Prantl

Zu den Dingen, die viele Österreicher besser können als die Deutschen, gehört neben der politischen Stand-up-Satire und den Salzburger Festspielen eindeutig das Bergsteigen. Auf der inoffiziellen Reinhold-Messner-Skala liegen die beiden Länder sicherlich noch ein gutes Stück weiter auseinander als in der Fifa-Weltrangliste, wo Österreichs Fußballer derzeit gerade einmal elf Plätze hinter Deutschland (nur 15.!) rangieren. Die meisten Deutschen haben zum Bergsteigens ja höchstens während des Urlaubs Gelegenheit, wie mein Kollege Hans Gasser hier schreibt.

Für Geodeterministen moderner Prägung hat das alles selbstverständlich mit der Topografie des Landes zu tun; zählen nach gängiger Abgrenzung doch zwei Drittel Österreichs zum Alpenraum. Es gibt also wenig Platz für Fußballfelder, aber genügend Berge für alpinistische Taten.

Vor allem im wilden Westen des Landes sind auch die Alltagshelden besonders gerne am Steilhang daheim.

In Tirol etwa denken die Menschen bei dem Namen Lama weniger an den Dalai als an den in einer Lawine ums Leben gekommenen Kletterer David, bei dessen Gedenkfeier im vergangenen Sommer 1500 Menschen ein Lichtermeer am Berg bildeten. (Lesen Sie hier mit SZ Plus Erinnerungen an den Profikletterer.) In Spital am Pyhrn, Oberösterreich, wurde der rekordverdächtig bescheidenen Achttausender-Sammlerin Gerlinde Kaltenbrunner wiederum ein Museum gewidmet.

Und in Vorarlberg ist man noch heute stolz, einem gewissen Ernest Hemingway, der sonst gerne tief durch das Eis seines Drinks auf den Grund des Glases schaute und sich dabei mit dem Tod unterhielt, vor fast 100 Jahren das Skitourengehen beigebracht zu haben.

Hemingway hinterließ später das Bonmot, es gebe genau drei echte Sportarten: Autorennen, Stierkampf und Bergsteigen. Allerdings sind Autorennen und Stierkampf einfacher zu definieren als das Bergsteigen. Denn: Wo genau hört der Hügel auf und fängt ein Berg an? Die Lechtaler Band Bluatschink etwa sang vor einigen Jahren ob des Bergverständnisses in Wien, Graz und München: " Des söll a Berg sei. Des isch a it amoi a Kogl" (außeralpin-deutsch: Das soll ein Berg sein. Das ist ja nicht einmal eine Kuppe). Ein Berg liegt also im Auge des Betrachters.

Manche Menschen sind der Ansicht, dass sogar die Zugspitze den Titel Berg verwirkt habe. Auf der Reinhold-Messner-Skala taucht der Felszacken schon deshalb nicht auf, weil man dort oben dank mehrerer Bergbahnen, eines weitläufigen Gipfelbaus und sonstigen Infrastruktur-Schnickschnacks auch die Salzburger Fest- oder Fußballländerspiele zwischen Deutschland und Österreich austragen könnte, wobei für Letztere das Heimrecht zu klären wäre. Über den Westgipfel verläuft die deutsch-österreichische Grenze, der Ostgipfel liegt in Deutschland. Dass dieser anno 1854 von Kaiser Franz Joseph I. an die bayerischen Nachbarn verschenkt wurde, hält sich als Legende vor allem in Österreich hartnäckig.

Bezeichnend ist jedenfalls, dass vor 200 Jahren ein gewisser Leutnant Josef Naus vom Königlich Bairischen Topographischen Bureau mit der Vermessung der Werdenfels-Region für den Atlas von Bayern beauftragt wurde - und am 27. August 1820 als Erstbesteiger des heute höchstens deutschen ... nunja... Berges in die Geschichte einging. Der Mann war gebürtiger Tiroler, wie Sie hier in der Geschichte zu 200 Jahre Zugspitze lesen können.

Diese Kolumne ist zuerst am 7. August 2020 im Österreich-Newsletter erschienen.

© SZ vom 08.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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