Kolumne:Nach dem Terror

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Wien ist in diesen Tagen eine Stadt in gemeinsamer, ehrlicher Trauer. Das ist bitter und schön zugleich.

Von Cathrin Kahlweit

Terroranschläge in anderen Ländern, anderen Städten sind immer ein wenig wie Horrorkino: Man ist aus der Ferne zutiefst erschrocken, besorgt, betroffen, überlegt, ob man dort jemanden kennt, fühlt insgeheim eine gewisse traurige Erleichterung, dass man selbst und die Liebsten davongekommen ist. Aber es ist etwas anderes, wenn man mittendrin ist, das ist eine Binsenweisheit, einerseits, und mindert doch andererseits die Solidarität mit Opfern in anderen Städten, anderen Ländern nicht.

Als ich Korrespondentin in London war, musste ich immer wieder über Attentate und Tote schreiben, unter anderem 2019 über den Anschlag auf der London Bridge, bei dem ein wegen eines Terrordelikts verurteilter und vorzeitig aus der Haft entlassener Islamist mehrere Menschen angriff und tötete, bevor er selbst von mutigen Passanten überwältigt und von einem Polizisten erschossen wurde. Der Anschlag war lokal begrenzt und schnell vorbei; die Londoner sind, so paradox und tragisch zugleich das ist, außerdem mittlerweile Terrorprofis; sie kennen das und lassen sich nicht unterkriegen. Stiff upper lips, nie mehr als in solchen Situationen.

Damals wie diesen Montag bekam ich Dutzende besorgte Mails und SMS von Freunden und meiner Familie: Geht es dir gut, alles okay? Ich war dankbar, aber viel zu sehr mit Recherchieren und Schreiben beschäftigt, um in mich hineinzuspüren.

Das war diesmal anders. Ich selbst war nicht in Gefahr, war nicht in der Innenstadt, aber ich kenne Dutzende Menschen, die es waren. Die in Kellern und Hinterzimmern ausgeharrt haben, die in Hotels übernachteten, weil sie nicht mehr nach Hause kamen, die sich in ihren Wohnungen verrammelten, die das Licht ausmachten und sich aus den Erdgeschossen ihrer Häuser in den 1. Stock zurückzogen aus Angst, der Täter könnte noch da draußen sein. Ich habe von Künstlern gehört, die stundenlang, ihre teuren Instrumente umklammernd, in Konzerthallen festsaßen, von Kellnern, die Gäste selbst- und furchtlos ins Innere von Restaurants zogen und dann die Gitter herunterließen, von Menschen, die im 1. Bezirk von der hypernervösen und total unter Druck stehenden Polizei auf das Rüdeste zu Boden gezwungen und durchsucht wurden. Freunde erzählen von Großmut und Weinkrämpfen, von Platzangst und Wut. Ausnahmezustand ist gar kein Wort dafür, es war und ist entsetzlich.

Als ich an diesem Donnerstag durch die Innenstadt ging, lange bevor sich für eine Gedenkverstaltung am Morzinplatz Tausende versammelten, war ich daher sehr gerührt und auf seltsame Weise beglückt von der Trauer, der Besinnlichkeit, der Sorge, der Solidarität, die da zu spüren war. Frauen, die Blumen niederlegten, Jugendliche, die sich umarmten, Fremde, die sich unterhielten - Wien ist in diesen Tagen eine Stadt in gemeinsamer, ehrlicher Trauer. Das ist bitter und schön zugleich. Vielleicht kann man das Gefühl ja zumindest ein paar Tage lang hinüberretten in den politischen Kampf und die Schuldzuweisungen, die schon wieder das gemeinsame Erleben und die Lebensbejahung nach der Begegnung mit dem Tod überlagern.

Diese Kolumne ist zuerst am 6. November 2020 im Österreich-Newsletter erschienen.

© SZ vom 07.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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