Kolumne:Kritische Untertöne

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Die Debatte um die Ausschreitungen bei Demonstrationen in Wien-Favoriten zeigt, was bis zur Landtagswahl im Oktober zu erwarten ist.

Von Leila Al-Serori

Als ich vergangene Woche nach einem Abendessen bei Freunden durch das nächtliche Wien spazierte, heulten ständig die Polizeisirenen. Wien ist zwar eine Großstadt, aber lautstarke Polizeieinsätze im Minutentakt sind sehr ungewöhnlich.

Zu Hause fand ich schnell heraus, was diesen Großeinsatz hervorgerufen hatte: Im Bezirk Favoriten waren offenbar türkische Nationalisten und Anhänger der als faschistisch geltenden "Grauen Wölfe" auf eine prokurdische Demonstration losgegangen. Es kam zu Ausschreitungen, mehreren Verletzten und Festnahmen. Teilweise sollen Pflastersteine geworfen worden sein. Medienberichten zufolge waren auch Böller und Eisenstangen im Einsatz. Die Krawalle wiederholten sich in den Tagen darauf - und lösten eine politische und mediale Debatte aus.

Schnell mischten sich in die Diskussion kritische Untertöne gegen die Wiener Stadtregierung aus SPÖ und Grünen. Kritische Untertöne, die von der ÖVP zuletzt häufiger angeschlagen werden. Schließlich wird am 11. Oktober in Wien gewählt. Die Konservativen, die in der Bundeshauptstadt traditionell schlecht abschneiden, wollen diesmal die Wähler der angeschlagenen FPÖ zu sich lotsen.

Da verwundert es kaum, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Causa, die ja eigentlich in den Bereich der Wiener Stadtregierung fällt, zur Chefsache machte, und sich auch Innenminister Karl Nehammer und Integrationsministerin Susanne Raab, beide ebenfalls von der ÖVP, einschalteten. Kurz warf der Türkei vor, hinter den Krawallen zu stehen und absichtlich "Unfrieden zu säen". Er sagte außerdem: "Wir wollen in Österreich, insbesondere in Wien, keine Bilder von Gewalt auf den Straßen wie aus anderen Ländern." Er kündigte einige Maßnahmen an, die man später auch mit der Wiener Stadtregierung absprechen wolle.

Die Wiener ÖVP (die wiederum von Finanzminister Gernot Blümel angeführt wird) sprach in einer Stellungnahme vom "Integrationsversagen" einer "untätigen Stadtregierung". Die Bundesintegrationsministerin warnte gar vor Parallelgesellschaften in Wien, woraufhin der Wiener Integrationsstadtrat der SPÖ eine bewusste Verzerrung der Realität kritisierte.

Die Debatte setzt den Ton für den Wahlkampf - den Wienern und Wienerinnen dürften hitzige Wochen bevorstehen.

Übrigens, so erzählt man sich in Wien, ist der Einsatz des Folgetonhorns, also der polizeilichen Sirenen, unter der Amtszeit von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl rapide angestiegen - trotz sinkender Kriminalitätsraten.

Tatsächlich habe ich auch diesen Eindruck. Ob das nun eine gefühlte oder echte Wahrheit ist, ob der umstrittene Ex-Innenminister gar eine politische Strategie verfolgte, lässt sich nicht so leicht herausfinden. Die Polizei führt zum Gebrauch des Folgetonhorns laut eigener Stellungnahme nämlich keine Statistik.

Diese Kolumne ist zuerst am 3. Juli 2020 im Österreich-Newsletter erschienen.

© SZ vom 04.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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