Kolumne:Gleichstellung

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Die emotionalste Begründung für die Ehe von Schwulen und Lesben kommt von deren konservativen Gegnern: Gerade wer die Institution Ehe schützen möchte, der sollte alle begrüßen, die sich ihr stellen wollen.

Von Carolin Emcke

Schon wieder? Es ist ermüdend, immer wieder eine ebenso unerfreuliche wie aufgezwungene Diskussion führen zu müssen. Der Anlass diesmal: Vergangene Woche hat die Mehrheit der - mehrheitlich katholischen - Iren in einem historisch zu nennenden Referendum für die Öffnung der Ehe und die rechtliche Gleichstellung homosexueller mit heterosexuellen Paaren gestimmt. Während der Vatikan in dem Volksentscheid nicht nur eine "Niederlage der christlichen Prinzipien, sondern eine Niederlage für die Menschheit" sah, entdeckten manche Befürworter der "Ehe-für-alle" in der gewandelten Einstellung einer konservativen Gesellschaft wie der irischen ein gewichtiges Argument für die Gleichstellung auch hier. Wenn "selbst" Irland den Geist der Zeit erkennen könne, so die eigenwillig beleidigende Haltung, dann dürfe sich auch die Bundesregierung ihm nicht mehr verschließen. Als sei es eine Frage des sportlichen Wettkampfs, welcher Staat sich eiliger an die gesetzliche Materialisierung des Zeitgeists machte.

Würde eine Mehrheit für das Verbot von Kirchen votieren, wäre das noch lange nicht legitim

Bei aller Liebe zu Irland und aller Freude über die Anerkennung: Nur weil in Irland eine Mehrheit für die Gleichstellung votiert, nur weil auch in Deutschland laut Emnid inzwischen 68 Prozent der Bevölkerung für eine Öffnung der Ehe sind und mehr als 62 Prozent gleichgeschlechtliche Paare für genauso geeignet halten, Kinder großzuziehen, wie heterosexuelle, so ist das allein noch kein hinreichender Grund. Wenn eine Mehrheit der Bevölkerung für das Verbot von christlichen Kirchen in den diesigen Städten votierte oder gegen die Versammlungsfreiheit von Schalke-Fans, dann wären diese Positionen deswegen noch keineswegs legitim.

Die Gleichstellung von Lesben, Schwulen und Transgender, ist nicht etwa deswegen geboten, weil es Mehrheiten dafür gibt, sondern weil sie rechtlich und normativ richtig ist. Menschen- und Bürgerrechte gelten nicht deswegen, weil sie gerade en vogue sind. Sie gelten immer und universal. Es heißt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Es heißt nicht: "Die Würde nur jener Menschen, denen auch die Mehrheit diese Würde zugesteht, ist unantastbar". Die Abschaffung der Sklaverei war nicht deswegen richtig, weil sich irgendwann, viel zu spät, Mehrheiten für sie fanden, sondern weil sie Unrecht korrigierte.

Es geht nicht darum, ob die Gegner der Gleichstellung altmodische Ansichten vertreten, sondern ob sie das Recht (und nicht nur das Merkelsche "Bauchgefühl") haben, anderen Rechte zu verweigern. Die Begründungslast liegt dabei bei denen, die ihre privaten oder religiösen Vorstellungen nicht allein für sich beanspruchen, sondern auch für andere definieren wollen, was eine akzeptable Beziehung oder Familie sein soll. Das Verfassungsgericht hat immer wieder den alten Lehrsatz bestätigt, dass wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln sei. Die Eingetragene Partnerschaft gegenüber der Ehe zu benachteiligen, verlangte deswegen vom Gesetzgeber Gründe, warum sie wesentlich ungleich sein sollte. Die Differenzierung qua sexueller Orientierung reichte dem Ersten Senat nicht aus. "Es bedarf hinreichend gewichtiger Unterschiede zwischen diesen beiden auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaften, um die konkrete Ungleichbehandlung zu rechtfertigen."

Dabei werden die emotionalsten Gründe für eine Öffnung der Ehe lustigerweise von deren Gegnern geliefert: Wer die Ehe als Institution schützen möchte, wer an die Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft zweier Menschen glaubt, der sollte dankbar alle begrüßen, die sich ihr stellen wollen. Wer sich um das Wohl von Kindern sorgt, der sollte alle unterstützen, die Kinder liebevoll großziehen möchten. Kinder leiden nicht unter der Homosexualität ihrer Eltern, sie leiden unter der Homophobie der Gesellschaft. Gewiss spielen die Werte eine Rolle, die Kindern in einer Familie vorgelebt werden, aber da wären eher Hedgefonds-Manager zweifelhafte Kandidaten als Schwule oder Lesben. Gewiss ist es dringend geboten, sich um das Wohl von Kindern zu sorgen, aber da wäre es angebrachter, die schwachsinnige Verkürzung und Modulisierung der Bildung zu kritisieren, als sich mit der Sexualität von Eltern zu befassen.

Es drängt sich der Eindruck auf, homosexuelle Paare müssten Prüfungen bestehen, die heterosexuellen Paaren nie gestellt wurden, sie müssten Vorstellungen von der Norm der Familie erfüllen, die es historisch selten gegeben hat. Wie viele aus der älteren Generation, die den Krieg erleben mussten, sind denn mit zwei Eltern aufgewachsen? Wie viele hatten wirklich Vater und Mutter als Vorbilder beständig um sich? Gerade diejenigen, deren Familien aus Müttern und Großeltern bestanden, müssten wissen, dass eine Familie da ist, wo sich Menschen um Kinder kümmern, sie fördern und fordern, sie lieben und ihnen Grenzen setzen. Ob das zwei Väter sind oder eine Mutter und eine Großmutter oder zwei Mütter oder Mutter und Vater.

Für einen säkularen Staat darf es nicht relevant sein, ob jemand in einer monogamen oder einer offenen Beziehung lebt, ob jemand anonymen Sex in Darkrooms genießt oder mit einer Großfamilie lebt oder beides gleichzeitig. Es ist keineswegs unanfechtbar, dass der Staat überhaupt eine Form des Zusammenlebens vor einer anderen auszeichnen darf. Aber wenn Ehe und die Familie nun einmal besonderen staatlichen Schutz genießen, dann sollte dieser Schutz für alle gelten, die den Mut und die Liebe aufbringen, sich zu binden und die Kinder begleiten wollen.

"O n the brink of error is a condition of fear", schreibt die kanadische Dichterin Anne Carson, "Am Rand des Irrtums liegt der Zustand der Angst". Immer noch und immer wieder drängt die Angst: verengt den Blick, verstümmelt Konventionen der Höflichkeit und untergräbt die Vernunft. Es wird Zeit, die Angst zu überwinden. Niemand verliert seine Rechte, wenn andere diese Rechte auch erhalten. Niemand wird schlechter gestellt, nur wenn Schwule und Lesben und Transgender endlich gleich gestellt werden.

© SZ vom 30.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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