Kolumne:Effizienz

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Erst bei Störfällen zeigt sich die gespenstische Kehrseite des entmenschlichten Geschäftsmodells. Die Folgen des Diktats der Effizienz nähren Zweifel am "Internet der Dinge".

Von Carolin Emcke

Manchmal möchte man einfach, dass es schneller geht, dass Entscheidungsschwäche, Handlungsspielräume, Wahlfreiheit, Bedenken oder Blockaden das Vorankommen nicht hindern." So erläutert der Publizist Jürgen Werner in seinem schönen Buch "Tagesrationen" den Begriff der Effizienz. "Doch der Mensch ist das Tier, das umständlich ist und Umstände macht."

So ergeht es einem manchmal in jenen "Coffee-Shops", die die Pervertierung der Wahlfreiheit mit der Simulation von Individualität verbinden, in denen es also nicht nur Kaffee mit oder ohne Zucker, mit oder ohne Milch gibt, sondern speziell auf jedes umständliche, menschliche Tier eingehende Angebote: rechtsgedrehte oder linksgedrehte Bohnen aus Kenia oder Kolumbien, geschäumte oder geschlagene Milch, ganz fett, halbfett, fett ohne Fett, endlose Variationen an Zuckrigem, das nur nicht mehr Zucker heißt, weil das zu ehrlich oder zu uncool wäre. Spätestens in dem Moment, da man von "Es-bedient-Sie-heute-Dennis" aufgefordert wird, den eigenen Namen zu nennen, um den pappigen Becher damit zu beschriften, ist es der Blockaden am frühen Morgen zu viel. Man möchte nur noch "Hase" heißen (weil das kaum falsch zu schreiben ist) und wünscht sich ein Glas Leitungswasser.

Manchmal möchte man einfach, dass nichts das Vorankommen hindert. Grundsätzlich ist es also zu begrüßen, wenn an Flughäfen die unnötige Warterei in endlosen Schlangen durch umsichtige Logistik reduziert wird. Je weniger Wahlfreiheit und Entscheidungsschwäche den Menschen vor einem in der Schlange gelassen wird, desto schneller geht alles. In diesem Sinne war ich auch keineswegs unglücklich, als es neulich am Münchner Flughafen in der Abfertigungshalle nur mehr eine großzügige Ansammlung von Automaten gab, die den Vorgang des Eincheckens zu beschleunigen versprachen. Der Apparat bot mir zudem nicht nur die Bordkarte nach Frankfurt, sondern auch die für den Flug nach Berlin am nächsten Morgen an. Hervorragend. Ich erhielt die Ausdrucke für beide Flüge, achtete darauf, dass ich auch gewiss die Tickets nicht vertauschte und ging mit der aktuellen Bordkarte für Frankfurt zur Gepäckabfertigung.

Auch dort waren menschliche Wesen als Gegenüber weitestgehend abgeschafft: Eine lange Reihe an Automaten stand bereit, um die Koffer entgegenzunehmen. Ein wenig unheimlich war das dann doch: Intuitiv schien mir das Aushändigen meines Koffers an einen wortlosen Computer einen anderen Grad an Vertrauen vorauszusetzen als das bloße Drucken meines Tickets. Aber vermutlich war das bloß altmodisch sentimental. Alles lief reibungslos und zügig: Das elektronische Lesegerät erfasste die Daten von meiner Bordkarte nach Frankfurt, der selbstklebende Streifen für das Gepäckstück wurde gedruckt, und auf dem Rollband bewegte sich mein Koffer schließlich auch ohne menschlichen Zuspruch davon.

Das einzige Problem: In Frankfurt tauchte er nicht wieder auf. Ich wanderte zum Lost-and-Found-Schalter, an dem mir ungeheuer freundliche Mitarbeiterinnen der Fluglinie nach einem Blick in den Computer erklärten, mein Koffer sei durchgecheckt auf den morgigen Flug nach Berlin. Zu meiner Verwunderung wurde mir erklärt, ich hätte keineswegs etwas falsch gemacht, sondern das System sei so eingestellt, dass im Falle des gewünschten Ausdrucks mehrerer Bordkarten das Gepäck selbständig an den letzten Zielort durchgecheckt würde. Das war an Effizienz natürlich nicht mehr zu übertreffen: Der Koffer war so vollautomatisch geleitet worden, dass niemand ihn mehr benutzen konnte. Wozu auch, bei einer Übernachtung zwischen zwei Flügen, überhaupt das Gepäck aus dem Flughafen herausholen? Wer reist schon mit einem Koffer, um ihn dann auch zu brauchen? "Die Zeit vergeht nicht schneller als früher," heißt ein Satz, der George Orwell zugeschrieben wird, "aber wir laufen eiliger an ihr vorbei."

Die Tatsache, dass mein Gepäck ohne mich am Flughafen die Nacht verbringen sollte, warf zudem die unbehagliche Frage auf, wessen Gepäck alles so unbegleitet am Flughafen übernachten darf. Da wird vor jedem Rucksack gewarnt, der wenige Minuten allein am Gate steht, aber ein einmal eingecheckter Koffer darf eine ganze Nacht lang Zwischenstation am Flughafen machen? Hoffentlich nicht ohne noch einmal gesondert überprüft zu werden. Jedenfalls bat ich die hilfsbereiten Mitarbeiterinnen der Fluglinie, mir meinen effizienzgesteuerten Koffer doch bitte etwas weniger effizient wieder zu organisieren. Es dauerte annähernd eine Stunde, dann konnte ich ihn an einem anderen Gepäckband in einem anderen Terminal in Empfang nehmen.

Solange technische Rationalisierungen funktionieren, erscheinen sie harmlos. Wer möchte opponieren gegen die Annehmlichkeiten der optimierten Lebenswelt? Wer freut sich nicht an beschleunigten Abläufen? Wem erscheinen Bankgeschäfte rund um die Uhr nicht bequem, wer atmet nicht auf, wenn leidiges Warten abgekürzt wird? Erst bei Störfällen wird die gespenstische Kehrseite des entmenschlichten Geschäftsmodells sichtbar. Erst wenn die kafkaesken Folgen des Diktats der Effizienz in einem Malheur aufscheinen, tauchen Zweifel über das auf, was uns noch mit der nächsten Entwicklungsstufe des "Internets der Dinge" droht, das eine gleichsam sich selbst organisierende und kontrollierende Umwelt verspricht.

Am nächsten Morgen dann, wieder am Flughafen, als ich mit der bereits ausgedruckten Bordkarte mein Gepäck einchecken wollte, lehnte der Automat den Vorgang ab: Mein Koffer sei bereits nach Berlin durchgecheckt. Um mein Gepäck, das angeblich ja bereits aufgegeben war, dann tatsächlich aufzugeben, musste ich mich anstellen an die endlose lange Schlange vor dem einen verbliebenen Schalter mit einer Mitarbeiterin. "Kultur ist aus der Anerkenntnis gewonnen", schreibt Jürgen Werner in seinen "Tagesrationen", "dass das Indirekte, Verzögerte, Umwegige auf Dauer überlegen sei."

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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