Kohletagebau:Die Kosten der Kohle

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Der Baggerstopp kommt den Energiekonzern RWE finanziell teuer zu stehen - zusätzlich zum längst erlittenen Imageschaden.

Von Benedikt Müller

Rolf Martin Schmitz hat sich früh festgelegt. Dass der Hambacher Forst noch gerettet werden könnte, sei "eine Illusion", sagte der Chef des Energiekonzerns RWE noch vor wenigen Tagen. Denn die Braunkohle, die unter dem alten Wald westlich von Köln liegt, werde gebraucht, um die Stromversorgung an Rhein und Ruhr zu sichern. Nun ist Schmitz selbst desillusioniert: Weil das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster am Freitag einen Rodungsstopp verhängt hat, darf RWE mit dem Braunkohletagebau Hambach einstweilen nicht in den Forst vorrücken. Der Wald scheint für mindestens zwei Jahre gerettet zu sein, und Schmitz' Konzern meldet einen wirtschaftlichen Schaden von einigen Hundert Millionen Euro.

Denn schon heute stehen die Schaufelradbagger des Tagebaus nur wenige Hundert Meter vom Hambacher Forst entfernt. Im Laufe des nächsten Jahres werden sie nun an keine weitere Kohle mehr herankommen. Dann wird RWE weniger Strom erzeugen und verkaufen können. Denn im Gegensatz zur Steinkohle, die weltweit gehandelt und verschifft wird, ist die Braunkohleverstromung ein lokales Geschäft: Förderbänder und die konzerneigene Kohlenbahn transportieren den Bodenschatz aus Hambach zu den nahen Kraftwerken in Neurath und Niederaußem, zwei der größten Kohlenmeiler Europas.

Noch trägt der Tagebau Hambach zwar etwa 15 Prozent zur Stromerzeugung in Nordrhein-Westfalen bei. Doch drängen bundesweit immer mehr Ökostrom- und Gaskraftwerke die Braunkohle aus dem Markt. RWE habe nicht ausreichend belegt, dass die Energieversorgung ohne die Hambacher Kohle "bundes- oder landesweit nicht mehr gewährleistet wäre", befand das OVG Münster.

Allein am Freitag hat RWE eine Milliarde Euro an Börsenwert eingebüßt

Zwar befeuert der Konzern die Kraftwerke Neurath und Niederaußem auch mit Braunkohle aus dem benachbarten Tagebau Garzweiler. Dieser wird jedoch die Verluste in Hambach nicht kompensieren können: "Garzweiler läuft schon heute nah an seiner Kapazitätsgrenze", sagt ein RWE-Sprecher. Hinzu kommt, dass der Konzern einen Teil der Hambacher Kohle zu Industriebrennstoffen, Aktivkoks oder Kohlenstoffkonzentraten veredeln lässt. Auch diese Einnahmen drohen RWE vom nächsten Jahr an wegzubrechen. So kommt es, dass der Konzern allein am Freitag etwa eine Milliarde seines Börsenwertes verloren hat. Die Aktie brach um gut acht Prozent ein.

Nach dem OVG-Urteil darf RWE nun so lange nicht in Hambach roden, bis die Gerichte über eine Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) entschieden haben. Darin moniert die Organisation, dass die Bezirksregierung Arnsberg den Naturschutz nicht ausreichend berücksichtigt habe, als sie den Betriebsplan des Tagebaus Hambach genehmigte. Der BUND verweist etwa auf seltene Fledermausarten in dem alten Wald. Ein rechtskräftiges Urteil dürfte in dieser Sache erst Ende 2020 fallen, teilt RWE mit. So lange also bleibt der Hambacher Forst bestehen.

Derweil will auch die Bundesregierung entscheiden, wie schnell Deutschland aus der Braunkohleverstromung aussteigen wird, bei der besonders viele CO₂-Emissionen anfallen. Die Kohlekommission soll noch in diesem Jahr einen Ausstiegspfad vorschlagen. Auch von dieser politischen Entscheidung hängt ab, ob es sich für RWE lohnen wird, den Tagebau Hambach noch mal aufzunehmen - oder ob der angrenzende Wald gar dauerhaft bleiben könnte.

RWE kann den Aufschub, den das OVG Münster nun verordnet hat, juristisch nicht anfechten. Anders als bei einem politisch beschlossenen Moratorium - wie etwa nach der Atomkatastrophe von Fukushima - hat der Konzern in diesem Fall auch keinen Anspruch auf Schadenersatz. Allerdings herrschen unter den etwa 4600 Beschäftigten im Tagebau Hambach und den nahen Kraftwerken nun "Unsicherheit und Sorge um die Arbeitsplätze und die persönliche Zukunft". So formuliert es Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Die Entscheidung des OVG Münster werde "schnell und spürbar zulasten der Beschäftigten gehen". Während der gerichtlichen Auseinandersetzungen stehe der Tagebau still, sagt Vassiliadis, "für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet das ein konkretes Risiko für ihre Einkommensgrundlage."

Obendrein hat ihr Arbeitgeber RWE im Streit um den Hambacher Wald einen Imageschaden erlitten, der so gar nicht zu dem grünen Anstrich passen mag, den sich der Energiekonzern derzeit verpasst: Im nächsten Jahr will RWE das Netz- und Vertriebsgeschäft der Tochterfirma Innogy an den Konkurrenten Eon abgeben. Im Gegenzug übernimmt RWE die Ökostromkraftwerke von Eon und Innogy. Damit steigt der Essener Konzern zum drittgrößten Grünstromanbieter in Europa auf. "Unser Ergebnis wird 2020 schon zu 60 Prozent aus Erneuerbaren kommen", kündigte Vorstandschef Schmitz im Juli in einem SZ-Interview an. Ohne die Kohle aus Hambach verliert das Geschäft mit der Braunkohleverstromung nun noch schneller an Bedeutung.

© SZ vom 08.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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