Köhlers Entscheidung zur Causa Klar:Gnade und Ungnade

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Die Ablehnung von Gnade macht aus einem Täter selbstredend kein Opfer. Die Art und Weise, wie die Gnadendebatte vor allem zuletzt von der CSU geführt wurde, hat aber den Bundespräsidenten zu ihrem Opfer gemacht.

Heribert Prantl

Es ist, als habe der Bundespräsident die Notbremse gezogen. Es ist, als habe er endlich eine Debatte zum Stehen bringen wollen, die immer unsachlicher, wilder, verworrener und hysterischer geworden war. Die Debatte hatte sich - auch deshalb, weil der Bundespräsident sie zu lange sich selbst überließ - immer mehr von ihrem konkreten Gegenstand gelöst, sie hatte sich immer weniger um Christian Klar und um seine Schuld, als um die RAF insgesamt gedreht.

Aus der Diskussion über einen individuellen Gnadenakt war eine Debatte über das gesamte verbrecherische Kollektiv RAF geworden, gerade so, als müsse dieser Christian Klar stellvertretend hinter Gitter bleiben - stellvertretend für die RAF, stellvertretend für ihre unaufgeklärten Verbrechen und stellvertretend für die Täter, die nie verurteilt wurden.

Die Gnaden-Entscheidung des Bundespräsidenten wurde zu einer Art Schlussstrich- und Ablass-Entscheidung stilisiert, die sie natürlich nicht ist und nicht sein darf: Gnade gewährt keinen Ablass, sie ist auch kein Akt der öffentlichen Verzeihung oder der Schuldkorrektur, sie nimmt kein Gramm weg von dem Unrecht, das ein Täter auf sich geladen hat.

Gnade ist einfach nur gnädig zu einem verurteilten Straftäter, nicht mehr, nicht weniger. Und oft ist es so, dass diese unverdiente Gnade (Gnade ist immer unverdient!) mehr bewirkt als alle Härte und Repression. In der Geschichte der Begnadigung von RAF-Tätern gibt es Anzeichen für diese Kraft der Gnade; keiner der Begnadigten ist rückfällig geworden.

Der Bundespräsident hat diese Gnade versagt, er hat die Begnadigung abgelehnt. Damit sind die zwei Häftlinge, die den Gnadenantrag bei ihm gestellt hatten, nicht in Ungnade gefallen - sondern nur zurück in den normalen Vollstreckungsplan. Die Verweigerung von Gnade ist keine zusätzliche Strafe für Christian Klar, der jetzt seit fast 24 Jahren im Gefängnis sitzt, auch keine zusätzliche Strafe für Birgit Hogefeld, die ihre lebenslängliche Strafe erst seit 14 Jahren verbüßt.

Nicht unbequeme Entscheidung, aber dadurch nicht falsch

Sicher: Es gibt präsidentielle Gnadenentscheidungen, mittels derer Ex-RAF-Mitglieder früher aus der Haft entlassen wurden. Aber: Es gibt keinen Anspruch auf Gnade, es gibt keine gnädige Gleichbehandlung. Gnade ist und bleibt in jedem Einzelfall eine irrational-souveräne Entscheidung. Sie ist kein Ausdruck überjuristischer Gerechtigkeit.

Der Bundespräsident hat mit seiner Entscheidung lange gerungen. Er hat den ersten Teil des Mottos, das er über seine Amtszeit gestellt hat, eingelöst: "Offen will ich sein". Im zweiten Teil seines Amtsmottos hatte er versprochen, auch "unbequem" sein zu wollen. Unbequem ist seine Entscheidung nicht. Sie entspricht der Stimmung in der Bevölkerung. Das macht sie nicht falsch.

Die Befürworter der Begnadigung haben nun das ablehnende Votum Köhlers so zu respektieren, wie auch die Gegner einer Begnadigung ein positives Votum zu respektieren gehabt hätten. Vielleicht hat Köhler keine Gnade walten lassen, weil er befürchtete, dass es diesen Respekt für eine Begnadigung nicht geben werde. Vielleicht hatte er recht mit dieser Befürchtung.

Vielleicht fürchtete er weniger um sein Ansehen als um das des Amtes. Vielleicht hatte er nicht die Kraft, sich gegem den Strom zu stellen. Vielleicht fürchtete er um den inneren Frieden im Land. Vielleicht hielt er Gnade im Jahr der Gedenktage für unangebracht; die Morde an Buback, Ponto und Schleyer, die Attentate des deutschen Herbstes also, sind just dreißig Jahre her.

Vielleicht. Vielleicht. Es ist und bleibt Spekulation. Eine Gnadenentscheidung wird nicht begründet. Man kann die Beweggründe des Bundespräsidenten daher nirgendwo nachlesen, sie nicht drehen und wenden. Das ist gut und richtig so: Eine Gnadenentscheidung ist nun einmal kein juristisches Urteil.

Deswegen gibt es dagegen kein Rechtsmittel, deswegen gilt hier die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes nicht. Gnade ist ein gesetzloses Wunder; und Wunder sind nicht einklagbar. Sie machen Staunen, wenn sie eintreten; und sie schaffen, wenn sie ausbleiben, Enttäuschung bei denen, die darauf gehofft haben.

Der krankhafte Höhepunkt der Gnadendebatte

Die Ablehnung von Gnade macht aus einem Täter selbstredend kein Opfer. Die Art und Weise, wie die Gnadendebatte vor allem zuletzt von der CSU geführt wurde, hat aber den Bundespräsidenten zu ihrem Opfer gemacht: Köhlers Negativ-Votum steht nun in einem Ruch, den ihm die Söderlinge der CSU schamlos angeheftet haben - dass der Präsident womöglich seiner Wiederwahl wegen so entschieden habe. Die CSU hatte ein frivoles Synallagma hergestellt: "Zweite Amtszeit nur bei Ablehnung der Gnade".

Diese Unverschämtheit war der krankhafte Höhepunkt der Gnadendebatte - und darin zeigt sich eine traurige politische Verkommenheit der CSU. Diese Partei scheint sich in einem Post-Stoiber-Delirium zu befinden. Sie ist offensichtlich derzeit zu ernsthafter Politik nicht in der Lage. Die CSU ist selber der Gnade bedürftig.

Dies gilt insbesondere dann, wenn die CSU sich nun in ihrer Schelte des Präsidenten auch noch bestätigt fühlen sollte. Sie hatte sich heftig darüber empört, dass Köhler den Häftling Klar angehört hatte und ihm deswegen vorgeworfen, er habe einen Terroristen hofiert. Die Anhörung eines Gnadenkandidaten ist aber mitnichten eine Verbeugung, sondern eine Vernehmung - also eine wichtige Grundlage für die Entscheidung. Dem Präsidenten gebührt deswegen Achtung. Missachtung gebührt der CSU.

© SZ vom 8. Mai 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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