Koalitionsgipfel:Draufhauen in aller Zurückhaltung

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Nach einer Nacht voller Streit regieren Wut und Schadenfreude, doch den offenen Bruch der Koalition will noch keiner - auch nicht Franz Müntefering, der erstmals nicht die Möglichkeiten der Großen Koalition, sondern ihre Grenzen beschreibt.

Nina Bovensiepen, Nico Fried und Jens Schneider

Eines Tages, wenn die Große Koalition am Ende ist, könnte es gut sein, dass Franz Müntefering sagen wird: Damals hat es angefangen, in jener Nacht im Juni 2007 im Kanzleramt.

Und dann wird man sich auch erinnern an diese Pressekonferenz am Morgen danach, die der Vizekanzler von der SPD zu einer Veranstaltung macht, wie man sie nicht oft erlebt in Berlin.

Ein Auftritt, in dem er jeden Satz mit Bedacht formuliert. Und auch jedes Schweigen. Ein Tanz zwischen Einerseits und Andererseits, zwischen Angriff und Zurückhaltung, Erfolg und Fehlschlag. Nach zwei Jahren beschreibt Franz Müntefering nicht mehr wie bisher - und oft zum Verdruss der eigenen Leute - die Möglichkeiten der Großen Koalition. An diesem Tag beschreibt er erstmals ihre Grenzen.

Die Koalition habe eine "Chance vertan". Die Lehre, die er aus dieser Nacht zieht, lautet, ,,dass man den Mindestlohn nicht mit der Union machen kann, sondern gegen sie machen muss''. Das ist eine Kampfansage. Aber Müntefering wäre nicht Müntefering, wenn er auch nur einen Millimeter weiter erläutern würde, was das nun genau bedeutet. Eine andere Mehrheit mit der Linkspartei? Natürlich nicht. Vor oder nach 2009? Mal sehen. Nur eines sei sicher: In ein paar Jahren werde es den Mindestlohn geben. "Das ist nicht aufzuhalten."

"Armselige Haltung"

Wie überhaupt das Verwirrende, ja geradezu Verrückte an dieser rund einstündigen Vorstellung darin besteht, dass Müntefering sich glasklar ausdrückt und doch vieles im Vagen hält. Er macht kein Hehl aus seinem Ärger, dass mit dem Koalitionspartner keine Vereinbarung gegen sittenwidrige Löhne gefunden werden konnte.

Er hält der Union eine "armselige Haltung" und ideologische Blockaden vor. Aber jedes Mal, wenn man meint, jetzt knallt es gleich richtig, tritt er wieder auf die Bremse. Kein direkter Angriff auf die Kanzlerin. Kein Zweifel an der Koalition bis 2009.

Alles nur indirekt, zum Zusammenreimen für die Zuhörer - und zum Dementieren, wenn es überinterpretiert werden sollte. Ob sein Wort von vor einigen Wochen noch gelte, dass Gerhard Schröder immer mehr Kanzler war, Angela Merkel aber immer mehr Parteivorsitzende ist, wird Müntefering gefragt. Pause.

"Gesagt ist gesagt. Das war auch gemeint", antwortet der Vizekanzler. Aber er wolle das nicht verschärfen, "weil ich will, dass die Leute zusammenbleiben". Warum er glaube, dass die Kanzlerin der SPD nicht weiter entgegengekommen sei, wird er gefragt. Pause. "Ich habe nicht das Gefühl, dass man das Problem wirklich lösen, sondern geräuschlos beseitigen will." Frau Merkel? "Man."

Natürlich hat diese ganze Vorstellung auch mit Münteferings schwieriger Lage zu tun. Er kann die Koalition nicht verdammen und das Erreichte, zum Beispiel bei der Ausweitung des Entsendegesetzes, nicht relativieren. Das müsste man als Eingeständnis gerade auch seines Scheiterns verstehen. Also lobt er die Vereinbarungen, aus denen man jetzt etwas Gutes machen müsse. Doch für das, was nicht erreicht wurde, muss er Schuldige benennen. Es ist ein Rollenwechsel, den er zuvor in einer kurzen Sitzung der SPD-Fraktion schon angedeutet hat: ,,Eigentlich bin ich ein Teamspieler. Aber ich kann auch Forechecking.'' Ein SPD-Mann nennt das durchaus begeistert ,,die Rückkehr der roten Frontsau''.

Es ist auch kein Tag für Teamspieler. Es fühlt sich eher an wie der Auftakt eines viel zu frühen Wahlkampfs. Ein Tag, an dem man in der SPD nicht lange suchen muss, um wichtige Leute zu finden, die in allen nur erdenklichen Formen die Union der sozialen Kälte bezichtigen. Volker Kauder, der Fraktionschef, ist für die SPD der Schlimmste, gefolgt gleich von der Kanzlerin, die ihm die ganze Nacht keinen Einhalt geboten habe. Doch auch die andere Seite, die Union, führt sich auf, als seien aus den Koalitionspartnern definitiv wieder Gegner geworden, die sich nicht mehr um den anderen bemühen wollen.

"Noch nie so giftig"

Vergleichsweise zügig hatten die Koalitionäre am Vorabend die Pflegereform abgeräumt. Um kurz nach 22Uhr dann begab man sich in das Labyrinth der Mindest-, Auffang- und sonstiger Löhne. Stapel von Papieren hatte Müntefering mitgebracht. Wiederholt ist die Sitzung unterbrochen worden. Es wird laut und emotional. "Ich habe den Franz noch nie so giftig gesehen", berichtet Peter Struck am nächsten Tag seiner Fraktion. "Ich dachte, der geht gleich auf die anderen los." Diese anderen geben sich gelassen: "Ich bin ja froh, wenn der mal deutlich wird", sagt der CSU-Landesgruppenvorsitzende Peter Ramsauer am Tag danach. Da wisse man immerhin, woran man sei.

Viertel vor drei war es, als das Anspringen der Limousinen das Ende der Gespräche ankündigte. Lachend kamen sie kurz darauf heraus, Beck, Kauder und Edmund Stoiber. Es war eine krampfhafte Heiterkeit. Immer einträchtiger wandten sich die Unions-Herren einander zu, immer abgewandter stand Beck. Der SPD-Chef fiel den anderen beiden mehrmals ins Wort.

Etwa als Kauder triumphierte, dass es keinen flächendeckenden Mindestlohn geben werde, der nur Jobs vernichtet hätte. Ein gesetzlicher Mindestlohn "vernichtet Arbeitsplätze natürlich nicht", griff Beck da ein. Irgendwann ließen Kauder und Stoiber den Partner einfach stehen. Und so entging ihnen Becks wohl wichtigster Satz an diesem Abend, ganz anders gemeint, als er klang, und doch in seiner Missverständlichkeit so überaus verräterisch: "Es ist deutlich mehr gelungen als ein Scheitern."

Wer einen Partner gewogen halten will, vermeidet Triumphgesten. Doch über dieses Stadium sind CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla oder CSU-Mann Ramsauer weit hinaus. Am nächsten Morgen platzt Pofalla fast vor Selbstzufriedenheit. Ramsauer genießt es, zu betonen, dass die Union jetzt nicht hämisch sein dürfe, um dann seine Häme über die SPD zu genießen.

Erst versucht er sich in der ihm nicht eigenen Form der leisen Ironie und verkündet, es habe in der Nacht "nur Sieger" gegeben. Wenig später reicht er nach, dass seine Ironie wohl nicht zu überhören gewesen sei. Doch er wolle es "der SPD nicht schwerer machen, als sie es ohnehin jetzt hat".

Überhaupt wirken einige führende Unionisten so überheblich wie man sie zuletzt im Sommer vor zwei Jahren erlebt hat, als sie noch glaubten, dass ihnen 2005 ein Wahlsieg mit der FDP sicher sei. Nun könnte man meinen, der Bundeswahlleiter hätte schon mal vorab ihr Wunschergebnis für 2009, eine Mehrheit mit der FDP, im verschlossenen Umschlag ins Konrad-Adenauer-Haus geliefert. Ungerührt wird beiseitegewischt, was auch das eigene Lager gegen die Beschlüsse der Nacht vorzubringen hat.

"Eine Überlebensfrage der SPD"

So sieht die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU keinen Anlass zum Jubeln, der Wirtschaftsrat ist auch nicht zufrieden. Ja, sagt Ramsauer, er habe mit einigen Wirtschaftsleuten geredet, die fänden das Ergebnis nicht so toll. Aber die hätten auch gesagt, dass alles noch schlimmer hätte kommen können. Und er vermute doch, fügt er an, dass der Protest bei der SPD lauter werde. Und der Parlamentarische Geschäftsführer Norbert Röttgen amüsiert sich am Morgen, dass der Wirtschaftsrat der Partei sich überhaupt so früh schon geäußert habe.

Nein, Ratschläge aus den eigenen Reihen interessieren bei der Union an diesem Tag nicht. Dafür hat man viele für die SPD parat. Gönnerhaft widmet man sich deren Sorgen. Die SPD müsse für sich entscheiden, so Röttgen, ob sie wieder zu einer sozialdemokratischen Politik zurückfinde. "Es ist eine Überlebensfrage der SPD", sagt er, "ob sie diese Kraft wiederfindet, oder ob sie eine ängstliche, reaktive Kraft wird, die von der Linkspartei gesteuert wird." Er wirkt nicht richtig besorgt.

© SZ vom 20.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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