Koalition:Gar nicht so ungelegen

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„Überzogene Sanktionen müssen weg“: Sozialminister Hubertus Heil (SPD) befürwortet eine Reform der Hartz-IV-Gesetze. (Foto: Uli Deck/dpa)

Die geplante Reform dürfte mehr ändern, als das Urteil verlangt. Union und SPD wollen Reformen - wenn auch nicht unbedingt dieselben.

Von Henrike Roßbach

"Wir werden", sagte der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) in seiner Regierungserklärung im März 2003, "Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen." Da war es, das berühmte Fördern und Fordern, das mit den Jahren zum Kernprinzip von Schröders Hartz-Reformen werden sollte. Nun, mehr als 16 Jahre später, hat das Bundesverfassungsgericht sich dieses Prinzip noch einmal angesehen - und für teilweise verfassungswidrig befunden.

Im Zuge der Einführung von Hartz IV wurde das "Fördern und Fordern" in sehr konkrete Handlungsanweisungen für die Jobcenter übersetzt. Langzeitarbeitslose müssen zu Terminen erscheinen, Weiterbildungen akzeptieren und Jobs annehmen. Weigern sie sich, kürzt das Jobcenter die Regelsätze. Der mit Abstand häufigste Grund für Strafen sind versäumte Termine. Im vergangenen Jahr machten sie 77 Prozent aller Sanktionen aus. Um diese Zehn-Prozent-Kürzungen ging es in Karlsruhe jedoch gar nicht.

Dennoch wird die Bundesregierung nun handeln müssen. Zumindest dem Sozialminister dürfte das nicht sonderlich viel ausmachen. Hubertus Heil (SPD) hat schon länger Reformbereitschaft bei den Hartz-Gesetzen durchblicken lassen. Zwar betont Heil regelmäßig, er halte Mitwirkungspflichten nicht per se für Menschenrechtsverletzungen - eine komplette Abschaffung aller Sanktionen, für die es auch in Teilen der SPD Sympathien gibt, lehnt er ab. Genauso regelmäßig aber erklärt er, dass er einige besonders harte Sanktionen für falsch hält.

Am Dienstag sprach der Minister von einem ausgewogenen Urteil und kündigte "Vorschläge zu einer rechtskonformen Weiterentwicklung der Grundsicherung" an. Kritisch hatte er sich in der Vergangenheit vor allem zu den harten Sanktionen gegen unter 25-Jährige geäußert. Für sie reicht schon eine Pflichtverletzung, um nur noch Wohn- und Heizkosten erstattet zu bekommen. Heil betonte nach dem Urteil zwar, dass diese Gruppe nicht Gegenstand der Entscheidung gewesen sei. Es müsse aber ausgewertet werden, "inwiefern die vom Gericht aufgestellten Grundsätze auch hierfür Anwendung finden".

Auch die Union will Reformen bei den Hartz-IV-Regelungen

Es spricht viel dafür, dass die Bundesregierung die schärferen Sanktionen für Jugendliche bei der anstehenden Reform mit abräumen wird. Der arbeitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Peter Weiß (CDU), ließ durchblicken, dass er mit einer Abschaffung der Sonderregeln rechne. Die Kommunalverbände forderten ein Ende der "unnötigen Doppelbürokratie". Auch der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, sagte der SZ: "Wir haben immer gesagt, dass die 100-Prozent-Sanktionierung und die Kürzung der Miete kontraproduktiv sind, weil wir die Menschen verlieren."

Während die Arbeitgeber nun fordern, die Vorgaben der Verfassungsrichter müssten "vernünftig und zielführend" umgesetzt werden, sprachen sich Linke und Grüne für eine gänzlich sanktionsfreie Grundsicherung aus. Auch Gewerkschaften und Sozialverbände verlangten, über das Urteil hinauszugehen. "Nicht alles, was unsere Verfassung vielleicht gerade noch so zulässt, ist auch im Interesse von Arbeitsuchenden und Beschäftigten", sagte DGB-Vorstand Annelie Buntenbach.

Verhaltener äußerte sich die CDU: Der Sozialpolitiker Kai Whittaker sagte, eine Reform müsse auch bewirken, dass es weniger Bürokratie und bessere Anreize gebe, Hartz IV zu verlassen. Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann betonte, das Gericht unterstreiche die Verantwortung des Einzelnen, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Dem könne man nur zustimmen. Es gebe auch "eine Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler, der unseren Sozialstaat mit seinen Geldern überhaupt erst möglich macht".

© SZ vom 06.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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