Koalition:Die rot-grünen Chaostage

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Fischers Vorwitz, Clements Alleingänge, Steinmeiers System und Schröders Enthaltsamkeit - wie kommt nur immer der Sand ins Getriebe? Eine Reportage über die jüngsten Aufgeregtheiten zwischen SPD und Grünen.

Von Nico Fried, Kurt Kister und Reymer Klüver

Berlin, 5. Mai - Der Kanzler sah sich bemüßigt, mahnende Worte an sein Kabinett zu richten. Er habe die herzliche Bitte, so Schröder am Mittwochmorgen im Kreise seiner Minister, dass man die ohnehin schwierige Lage der Regierung in den Medien nicht durch weitere Debattenbeiträge anreichern möge. Dies gelte sowohl für öffentliche Äußerungen als auch für Einlassungen in vertraulichen Gesprächen mit Journalisten.

Alle saßen sie dabei und vernahmen die Worte ihres Chefs: Joschka Fischer, der in einem Interview das dauernde Sparen verdammt hatte; Finanzminister Hans Eichel, der dem Vizekanzler daraufhin öffentlich den Mund zu diesem Thema verbieten wollte; Innenminister Otto Schily, der in einer Pressekonferenz ob der Unbotmäßigkeit der Grünen bei der Zuwanderung explodiert war.

Und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, der einen ganzen Tag lang an der Idee festgehalten hatte, den Sparern im Lande ihren Freibetrag zu streichen - womit er eine wütende Schlagzeile der Bild-Zeitung, Verärgerung beim Kanzler und bei einem Koalitionär die Bemerkung hervorgerufen hatte, dann könne Clement ¸¸auch gleich zum Volksaufstand aufrufen". Doch nach der Ermahnung Schröders schwieg die Runde. Vorläufig.

Denn schon beim nächsten Punkt der Tagesordnung, dem Forschungsbericht von Edelgard Bulmahn, ging"s wieder munter durcheinander. Es nörgelten mal mehr, mal weniger Wolfgang Clement, Ulla Schmidt und die Grünen Jürgen Trittin und Renate Künast. Bis es Schröder zu viel wurde.

Wieder einmal führe man eine Debatte über die Schwächen, anstatt die Stärken herauszustellen, sagte er. Genau so werde auch draußen im Lande diskutiert, aber die Aufgabe politischer Führung könne dies nicht sein. ¸¸Wir sind nicht so schlecht, wie wir uns einreden", befand der Kanzler.

Erschöpfte Abgeordnete

Das eben ist die große Frage. Seit dem Wochenende bieten Regierung und Koalition ein Bild der Verwirrung. Wahrlich nicht das erste Mal, aber selten erfolgten die Einschläge so dicht nacheinander. ¸¸Man kann sich gar nicht so schnell aufregen, da passiert schon das Nächste", stöhnt ein SPD-Mann.

Unter den Abgeordneten hat er eine Art Erschöpfungszustand festgestellt. Auch bei den Grünen, erzählen gleich mehrere in der Fraktion, mache sich Resignation breit: ¸¸Manche fragen sich einfach, warum reiß" ich mir dafür noch den Arsch auf?"

Ein solches Chaos hat viele Anfänge. Einer lässt sich am Mittwoch voriger Woche verorten. Zu diesem Zeitpunkt noch ziemlich einmütig, verhohnepiepelte das Kabinett den Bericht der führenden Wirtschaftsgutachter, die beklagten, in Deutschland werde zu wenig Geld ausgegeben, gleichzeitig aber ein neues Sparpaket der Regierung forderten.

Schröder und Clement dekretierten, letzteres werde es nicht geben, man lasse sich das bisschen Aufschwung nicht kaputtmachen. So sahen das wohl auch die anderen Minister. Nur einer schwieg: Hans Eichel.

Am Abend desselben Tages trafen sich dann Schröder, sein Adlatus Frank-Walter Steinmeier, SPD-Chef Franz Müntefering und Vizekanzler Joschka Fischer mit Eichel im Kanzleramt. Dabei eröffnete der Finanzminister der vertraulichen Runde den Blick in tiefe Haushaltslöcher. Was genau besprochen wurde, ist bis heute ungewiss, mittlerweile aber auch längst zweitrangig geworden.

Fest steht, dass mindestens ein Teilnehmer des Gesprächs dem Spiegel allerhand Details verriet. Und nun beschäftigt alle vor allem die Suche nach dem Verräter. Die einzig verbliebenen Wachstumsfaktoren in der Regierung sind seither Misstrauen und Verärgerung.

Hauptverdächtige sind Eichel und Fischer. Dem Finanzminister wird unterstellt, er habe die öffentliche Empörung über einen Kurswechsel bewusst hervorrufen wollen, um seine Sparbemühungen zu retten.

Fischer wiederum könnte interessiert gewesen sein, die Idee, weniger zu sparen, per Veröffentlichung unumkehrbar zu machen, weshalb er in einem Spiegel-Interview gleich noch schimpfte: ¸¸Nur sparen, streichen, kürzen bringt uns nicht das notwendige Wachstum." Bei den Grünen heißt es nun, Eichel kämpfe ums Überleben. Ein maßgeblicher Mann aus der SPD-Spitze klagt hingegen: ¸¸Da hat uns der Weltökonom Joschka ein schönes Ei ins Nest gesetzt." Und Franz Müntefering teilte in der Fraktion schlicht mit, die nun entstandene öffentliche Diskussion sei ¸¸Scheiße".

Nun ist es aber wirklich nicht so, dass Grüne und Sozialdemokraten nicht miteinander reden würden. Im Gegenteil, aber vielleicht hören sie schlicht nicht, was der jeweils Andere sagt. Beim Streit um das neue Zuwanderungsgesetz zum Beispiel.

Volker Beck, der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, faltet zunächst die Hände und tippt dann gelangweilt eine SMS ins Handy, als könne er sich selbst nicht mehr die Aufzählung all der Gespräche runterrattern hören, die er und seine Vorderleute mit dem Koalitionspartner geführt haben. Noch Tage vor der entscheidenden Verhandlungsrunde am 1.-Mai-Wochenende haben sie sich ein weiteres Mal mit Schily getroffen und ihm gesagt, dass sie der Union keine Zugeständnisse mehr machen können.

Auch dem Kanzler und dem SPD-Chef haben sie in persönlichen Gesprächen den Ernst der Lage verdeutlicht. Sogar Freitagnacht, als es schon schlecht lief bei den Verhandlungen, riefen sie noch bei SPD-Generalsekretär Benneter an, um ihm zu sagen, dass sie das nicht weiter mitmachen würden.

¸¸Dass wir am Ende der Fahnenstange angelangt waren, musste eigentlich allen Beteiligten klar gewesen sein", sagt ein Teilnehmer der Koalitionsrunden entgeistert. Doch nun sind die Sozialdemokraten eingeschnappt darüber, dass der kleine Partner von sich aus das Ende der Verhandlungen mit der Union im Vermittlungsausschuss verkündet hat.

Wie schon im Fall der Plutoniumfabrik in Hanau, so wiederum die Wahrnehmung der Grünen, wollen manche Sozialdemokraten einfach nicht kapieren, dass es eine rote Linie gibt, die Grüne nicht überschreiten.

¸¸Wir haben unsere eigenen Leute gequält von Woche zu Woche mit immer neuen Zugeständnissen an die Union", heißt es zum Zuwanderungsstreit. 92 Punkte werden in einem internen Argumentationspapier der Grünen aufgelistet, in denen sie nachgegeben hätten. Längst habe die Basis den Ausstieg verlangt. Dem Wunsch hat Parteichef Reinhard Bütikofer nur entsprochen, als er am Montag mit dem Satz vor die Medienleute trat: ¸¸Das Spiel ist aus."

Nun also rasen wieder einmal in der Koalition die Züge aufeinander zu, scheinbar unaufhaltsam. Wen man in diesen Tagen von den Spitzenleuten der Grünen auch fragt, alle sagen sie das eine: ¸¸Für uns ist klar, wir gehen nicht wieder in den Vermittlungsausschuss." Genau das verlangt aber Otto Schily, verlangt SPD-Chef Müntefering, wenn er jedenfalls noch eine Verhandlungsrunde fordert, nach der man dann ja gemeinsam den Ausstieg besiegeln könne.

Wie es weitergehen soll, wissen sie nicht recht. Volker Beck, der bisherige Verhandlungsführer, spricht von einer ¸¸unlösbaren Aufgabe". Sonst allerdings gehen sie ganz gelassen davon aus, dass ¸¸wir einen Kompromiss finden werden", am Freitag in der Koalitionsrunde.

Einen Kompromiss, bei dem Schily sagen kann, dass es mit dem Zuwanderungsgesetz in Teilen jedenfalls weitergehen wird, und den die grüne Führung bei dem kleinen Parteitag am Samstag von der Basis nicht um die Ohren gehauen bekommt.

Irgendwie widerspricht sich das zwar, aber das scheint die grünen Aushecker gar nicht weiter zu interessieren. Das sei nun mal Sache der SPD. Schröder, sagt einer im Führungszirkel der Grünen, müsse sich eben mit Müntefering und Schily zusammensetzen.

Man könnte nun sowohl den Zuwanderungsstreit als auch die Kurswechseldebatte abhaken als business as usual in dieser Regierung, in dieser Koalition. Seit Ende 1998 gehören die, auch von Schröder euphemistisch gern so genannten, ¸¸handwerklichen Fehler" zu dieser Regierung wie die Leibwächter zum Bundeskanzler.

Auch Schröders Verhalten in diesen Fällen ist bekannt: Er sieht dem Zoff seiner Minister mehr oder weniger grummelnd zu und greift meistens erst dann ein, wenn es eigentlich schon zu spät ist, weil alle Welt mitgekriegt hat, dass man in Schröders Kabinett wieder einmal nach Art der Kesselflicker streitet.

Typisch für Schröder ist in diesen langen Phasen der griesgrämigen Untätigkeit zweierlei. Zum einen versucht er, die interministeriellen Konflikte zu personalisieren und damit zu verniedlichen. ¸¸Der Hans achtet eben auf seinen Haushalt", sagt er dann zum Beispiel, und das klingt ganz so, als habe er, der Richtliniengeber, nichts mit dem Haushalt zu tun.

Zu vielen Themen kennen weder die Fraktionen noch die Streithähne noch die Journalisten Schröders Ansichten, weil er sie entweder nicht äußert oder gar keine hat. ¸¸Ich hab keine Ahnung", sagt ein Großgrüner, ¸¸was der Kanzler im Zuwanderungsgesetz maximal hinnehmen will. Das macht alles der Otto."

Fragt man im Hause Otto nach, dann heißt es einerseits, es sei alles abgesprochen. Andererseits: ¸¸Minister Schily genießt das volle Vertrauen des Kanzlers." In normales Deutsch übersetzt bedeutet das: Schily macht, was er für gut hält, und wenn er es für gut hält, den Bütikofer zu beleidigen, dann tut er das, und Schröder sagt anschließend bei Kerner, Otto Schily stehe ihm von allen Kabinettsmitgliedern am nächsten.

Zwar bemüht der Kanzler gerne den Begriff ¸¸Vermittlungsproblem" als zentrale Erklärung dafür, warum so wenige Leute den Eindruck haben, die Politik der Regierung sei richtig, stringent und geplant. In Wirklichkeit aber wohnt das Vermittlungsproblem im Kanzleramt sowie dessen Ausläufern, darunter das Bundespresseamt.

Schröder ist enorm misstrauisch geworden, sodass er am Prozess der Entstehung seiner Entscheidungen nur ein paar Leute teilhaben lässt. ¸¸Ich habe nur zwei wirkliche Vertraute", sagt er oft, ¸¸und die reden nicht."

Die beiden sind sein Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier und Sigrid Krampitz, die Leiterin des Kanzlerbüros. Beide sind bedingungslos loyal, und über Krampitz reden selbst solche, die im Streit aus dem Kanzleramt geschieden sind, positiv. Bei Steinmeier ist das nicht mehr so. Intern wird ihm vorgeworfen, er unterhalte einen Spitzeldienst im Amt, der abweichende Meinungen in den Abteilungen dem Amtschef zur Kenntnis gebe.

Von außen, also aus den Ministerien und den Regierungsfraktionen, ist viel häufiger als früher die Kritik zu hören, dass der große Koordinator Steinmeier wohl zu beschäftigt mit den Dingen im 7. Stock des Amtes sei, als dass er, je nach Lage des gerade aktuellen Streites, Schily, Eichel, Stolpe oder Clement hinreichend mitteilen könnte, was er, Steinmeier, also das Kanzleramt, also der Kanzler, denke und wolle.

Einfalt oder Absicht?

Auch für die Vermittlung nach außen hat die Tatsache, dass das System Schröder auf eine, zwei Hand voll Leute zusammengeschnurrt ist, fatale Folgen. Schröder hat sich aus dem Geschäft der Erklärung seiner Politik gegenüber Parteifreunden, den meisten Amtsträgern und Journalisten weitgehend zurückgezogen.

Hintergrundgespräche mit Politschreibern zum Beispiel finden seit langem nur noch eher selten und willkürlich statt und dann meist in Runden, deren Größe einer Pressekonferenz entspricht. Der offizielle Regierungssprecher Bela Anda wird vom Großteil der Berliner Journaille als wenig relevant wahr genommen.

Andas ¸¸nuun . . .", mit dem er viele seiner mäandernden Vernebelungssentenzen beginnt, ist unter Korrespondenten zu einem running gag geworden, wenn man sich vor dem Kellner im Restaurant nicht recht zwischen Spargel und Wolfsbarsch entscheiden kann. Fazit: Schröder spricht nicht, Steinmeier will nicht sprechen und Anda glaubt man nicht. Wie soll da Vermittlung stattfinden?

Diese Defizite, die das System Schröder mehr und mehr gefährden, haben sich übrigens symptomatisch in der Kurswechseldebatte gezeigt. Während Eichel und Fischer sich gegenseitig verdächtigen, schweigt Müntefering so wie immer. Richtet man allerdings den Blick auf Schröder und Steinmeier, fällt eines auf. Die Meldungen über den angeblichen Kurswechsel waren seit Freitagabend in der Welt.

Das erste Dementi erfolgte erst am Sonntagnachmittag, nachdem Eichel in einem Telefonat mit Schröder eine öffentliche Klarstellung gefordert hatte. Ebenfalls am Sonntag rief Schröder angesichts der ausufernden Debatte seinen einstigen Vertrauten Clement an, um dem Wolfgang zu versichern, dass er ganz beruhigt sein solle und es nicht gegen ihn gehe.

Auf die Frage, warum es erst so spät eine Stellungnahme des Kanzlers gegeben habe, sagt Schröder jetzt: ¸¸Weil am Samstag und Sonntag keine Zeitungen erscheinen." Das ist Unsinn, denn Zeitungen erscheinen auch am Sonntag, und Radio und Fernsehen senden ohne Unterlass. Schröder und Steinmeier, ganz zu schweigen von Anda, haben also entweder nicht gemerkt, was sich da zusammenbraut.

Oder sie wollten zunächst abwarten, wie sich die Geschichte mit dem Kurswechsel entwickelt. Letzteres würfe dann ein neues Licht auf die Frage, wer das Ganze durchgestochen hat. Entweder war es Einfalt oder Absicht. Im schlimmsten Fall einfältige Absicht.

© Süddeutsche Zeitung vom 6. Mai 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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