Klinikmorde:Ausgeliefert

Intensivstationen dürfen nicht Orte verdünnten Rechts sein.

Von Heribert Prantl

Hundert Morde. Hundert! Der Täter, ein ehemaliger Krankenpfleger, hat sie "weitgehend" gestanden. Er hat die ihm anvertrauten Menschen totgespritzt. Die Zahl der Morde ist so monströs, dass man sich wundert, dass die öffentliche Unruhe nicht größer ist. Das Gericht hat, ungewöhnlich genug, zum Auftakt des Prozesses zu einer Gedenkminute innegehalten.

Es braucht aber mehr als eine Gedenkminute, mehr als einen Strafprozess, mehr als gerichtliche Aufklärung. Es braucht einen Bewusstseinswandel. Es braucht ein Bewusstsein dafür, dass auch sehr alte und sehr kranke Patienten Menschen sind, nicht Objekte. Es braucht ein waches Gefühl dafür, dass der große Satz des Grundgesetzes über die Unantastbarkeit der Menschenwürde vor allem dort gilt, wo der Mensch ständig angetastet wird: in Intensivstationen, in Alten- und Pflegeheimen. Es sind dies keine Ort verdünnten Rechts. Das Recht auf Leben verfällt nicht dann, wenn man dort eingeliefert wird. Das Altenheim darf nicht der Ort sein, an dem man dafür bestraft wird, dass man so alt geworden ist. Die Zustände, die in Intensivstationen und Pflegeheimen bisweilen zu beklagen sind, legen aber eine solche Feststellung nahe. Die Zustände dort erleichtern, weil sie nicht selten monströs sind, monströse Verbrechen.

Der Klinikmörder hatte Helfer und Helfershelfer, die ihm das Morden leicht gemacht haben. Eine Gesellschaft, die sich mit untragbaren Zuständen in Klinken und Heimen abfindet, gehört dazu.

© SZ vom 31.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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