Kitas:Das wahre Leben

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Inklusion, Toleranz, männliche Erzieher und Personal mit Migrationshintergrund: Ein bundesweiter Aktionstag wirbt für mehr Vielfalt in Kindertagesstätten.

Von Edeltraud Rattenhuber, München

Vier von 18 - das ist im Vergleich zu anderen Kitas eine gute Quote. Doch Andreas Warschau strebt nach mehr. Der Leiter der Kita Koboldland im Dresdner Stadtteil Altklotzsche möchte in seiner Einrichtung das wahre Leben abbilden. Deshalb würde er gerne noch mehr männliche Erzieher als die vier einstellen, die im Koboldland arbeiten. "Halbe-halbe, das wäre der Idealzustand", sagt er.

Auch sonst ist er aufgeschlossen für "Klischeefreie Vielfalt in Kitas", wie sich der Aktionstag nennt, der an diesem Mittwoch bundesweit stattfindet. 60 Institutionen, Verbände, Kitas machen mit, werben nicht nur für mehr männliche Erzieher, sondern auch für Quereinsteiger, Erzieherinnen mit Migrationshintergrund, gendersensible Pädagogik, Inklusion von Menschen mit Behinderung und für ein Miteinander verschiedener Religionen und Nationen.

Auf dem Programm einer Berliner Kita steht alle sechs Wochen ein Moschee-Besuch

Los ging es 2010. Damals trommelte man bundesweit für männliche Erzieher. Jens Krabel von der "Koordinationsstelle Chance Quereinstieg/Männer in Kitas" erzählt, dass daraufhin das Themenspektrum ausgeweitet worden sei auf Personengruppen, die in Kitas unterrepräsentiert waren und sind: Menschen mit Behinderung oder mit Migrationshintergrund zum Beispiel. Als 2015 und 2016 immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen und die zunächst offene Willkommenskultur teilweise in Ablehnung umschlug, beschloss ein Bündnis verschiedener Institutionen, den Blick darauf zu lenken, welch Gewinn diese Vielfalt sei, so Krabel. Kitas leisteten als Einrichtungen der frühkindlichen Bildung sehr viel für den Zusammenhalt in der Gesellschaft, das wolle man sichtbar machen. In der Erklärung des Aktionsbündnisses wird das Ziel vorgegeben, "allen Kindern unabhängig von Herkunft, geschlechtlicher Identität, sozialer Zugehörigkeit, Religion, Familienform oder besonderen Bedürfnissen eine umfassende Teilhabe an frühkindlicher Bildung und Erziehung anzubieten. Träger und Kitas stehen vor der Herausforderung, durch entsprechende Konzepte und Strategien zum Umgang mit Vielfalt Barrieren abzubauen und den pädagogischen Alltag diskriminierungssensibel zu gestalten".

Wie das gehen kann, zeigt sich in der Kita Eulennest in Hamburg, wo Ida Rieckmann, die ein Down-Syndrom hat, fest ins Kita-Team integriert wurde. Oder in der Kita St. Marien in Sedelsberg, wo alle Spielmaterialien auf Geschlechterstereotype untersucht wurden. In einem Werbevideo zum Aktionstag berichten auch andere Erzieher von ihren Initiativen. Josephine Pecher von "Fröbel Bildung und Erziehung" ist wichtig, dass Kindern ein erweiterter Familienbegriff nahegebracht wird: Jeder darf den lieben, den er lieben möchte. In der evangelischen Kindertagesstätte St. Johannis in Berlin-Moabit arbeitet die im Irak geborene Kurdin Cihan Revend, einst als Flüchtling gekommen. Sie ist ein wichtiges Bindeglied zwischen der Kita, den Kindern und ihren Eltern. Kitaleiterin Christine Thomaschewski-Borrmann besucht mit Kindern alle sechs Wochen die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee zum interkulturellen und interreligiösen Dialog. Nicht allen Eltern gefalle das, aber sie lässt sich nicht beirren. Genauso wie Andreas Warschau aus Dresden. Auch seine Kita hat Flüchtlingskinder aufgenommen. Über negative Äußerungen dazu, die Kinder aus ihren Elternhäusern in die Kita mitbrächten, werde ebenso offen gesprochen wie über etwaige Vorbehalte, die manche Eltern gegenüber männlichen Erziehern hegten.

Im Großen und Ganzen gebe es aber keine Widerstände, sagt Warschau, "wir haben uns unsere Eltern schon ganz gut erzogen".

© SZ vom 05.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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