Aller Säkularisierung zum Trotz: In den mehr als 25 000 evangelischen und katholischen Kirchengemeinden, die es in Deutschland gibt, versammeln sich Woche für Woche nach wie vor Millionen Menschen. Wie aber sehen die Profis in diesen Gemeinden die Zukunft ihrer Kirchen, die Pfarrer und die Mitarbeiter in der Jugend- und Altenarbeit, die Küster und Verwalter? Das Rauhe Haus in Hamburg, eine traditionsreiche Einrichtung der evangelischen Diakonie, wollte das per Umfrage genauer wissen. Das Ergebnis, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt: Die meisten Kirchenangestellten halten die gegenwärtige Lage für gut, in die Zukunft aber blicken sie mit Skepsis. Zwei von drei Befragten halten die christlichen Volkskirchen für ein Auslaufmodell.
Immerhin 40 Prozent der in 426 evangelischen und katholischen Gemeinden befragten Hauptamtlichen bewerten ihre eigene derzeitige Lage mit der Schulnote eins oder zwei, nur sechs Prozent geben die Note fünf oder sechs, also "mangelhart" oder "ungenügend". Die Antworten in Bayern und Baden-Württemberg fallen deutlich positiver aus als die in den Ost-Bundesländern, wo die Christen eine Minderheit sind. "Frauen bewerten die Lage ihrer Gemeinde insgesamt kritischer als Männer, jüngere sind skeptischer als ältere," sagt Martin Sterr, der Geschäftsführer des Rauhen Hauses. Trotzdem klagt mehr als die Hälfte der Mitarbeiter über Arbeitsbelastung; jede zweite Gemeinde ist von Kirchenschließungen oder der Aufgabe von Gebäuden betroffen.
Für viele Pfarrer und Mitarbeiter sind die Zahlen Anzeichen eines tief greifenden Wandels
Für viele Pfarrer und Mitarbeiter sind dies die Anzeichen eines tief greifenden Wandels. 65 Prozent der Befragten halten ihre Kirchgänger für überaltert, 69 Prozent beklagen mangelnden Nachwuchs, wenn es um kontinuierliche Dienste geht - für zeitlich begrenzte Projekte ist es offenbar leichter, Freiwillige zu finden. Vor allem in den kleineren und finanzschwachen Gemeinden gehen die Mitarbeiter davon aus, dass sich die bisherigen volkskirchlichen Strukturen nicht mehr lange aufrechterhalten lassen - dort sei besonders stark spürbar, dass Christen unter 60 Jahren nur noch zu hohen Feiertagen und in seltenen Ausnahmefällen zum Gottesdienst gingen, heißt es in der Studie.
"Uns hat aber der Realismus und Pragmatismus der Frauen und Männer in den Gemeinden überrascht", sagt Geschäftsführer Sterr. Die Mehrheit starre nicht düster auf den Niedergang, sondern sehe durchaus auch ihre Chancen als Minderheit in der Gesellschaft - "nur wenige wünschen den Rückzug auf den Kern der überzeugten Christen". Mehr als 90 Prozent der Befragten sagen, die Kirchen müssten "gerade in einer Gesellschaft mit Spaltungstendenzen die Menschen zusammenführen", 82 Prozent finden die Auseinandersetzung mit Themen wie Armut, Flüchtlingen oder Rechtspopulismus wichtig. Was für die meisten nicht bedeutet, Glaube und Religion zu vernachlässigen - immerhin fast die Hälfte erlebt ein "wachsendes spirituelles Bedürfnis" in der Gemeinde. Viele gehen davon aus, dass der christliche Glaube künftig stärker in Gruppen und Familienkreisen gelebt wird, die sich kennen und stützen. "In den ärmeren und kleineren Gemeinden ist die Bereitschaft zur Veränderung besonders hoch - viele sind schon aus der Not heraus kreativ", sagt Sterr.
Nur bei einem sind die befragten Christen stur: Reformwünsche, die von oben kommen, etwa von der Landeskirche, sind unbeliebt. Die Hälfte der Gemeinden sagt, dass ihr der Sinn solcher Reformen verborgen bleibe und nur Zeit und Nerven koste.