Kinderschutz:Konsequenzen, immerhin

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Die krassen Fälle von zum Teil tödlich endenden Kindesmisshandlungen, die Deutschland in der jüngsten Zeit erschütterten, sollen sich nicht wiederholen. Ein neues Gesetz soll Abhilfe schaffen.

Robert Roßmann

Schrecklicher kann ein Staat kaum versagen. Als Bremer Polizisten vergangenen Oktober den zweijährigen Kevin aus der Obhut seines Ziehvaters befreien wollten, fanden sie nur noch eine Leiche.

Eingewickelt in Plastiktüten lag der Junge im Kühlschrank, gestorben an den Folgen zahlreicher Knochenbrüche. Offenbar hatte der drogensüchtige Ziehvater Kevin über Monate hinweg zu Tode gequält. Trotz unzähliger Warnungen hatte dem Kleinen niemand geholfen.

Hätte das Jugendamt schneller reagiert, wäre Kevin vermutlich noch am Leben, heißt es im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses. Auch angesichts solcher Fälle will sich die Bundesregierung jetzt stärker um misshandelte und vernachlässigte Kinder kümmern.

An diesem Mittwoch verabschiedet das Kabinett das "Gesetz zur Förderung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls". Hinter dem komplizierten Namen versteckt sich ein einfacher Gedanke: Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen, sollen leichter und schneller in die Pflicht genommen werden können.

"Bislang werden die Gerichte oft erst dann eingeschaltet, wenn das Kind sprichwörtlich schon in den Brunnen gefallen ist", sagt Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Gefährdete Kinder müssten aber so früh wie möglich geschützt werden.

Gefahren abwenden

Mit dem Gesetzentwurf werden deshalb die Hürden für ein Eingreifen der Gerichte gesenkt. Bisher können sie nur tätig werden, wenn das Kindeswohl durch "missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge", "Vernachlässigung des Kindes" oder "unverschuldetes Versagen der Eltern" gefährdet ist.

Dieser Zusammenhang ist in der Praxis aber oft schwer zu beweisen. Zudem verweigern viele Eltern wegen des Vorwurfs zu "versagen", die Kooperation. Deshalb tauchen die drei Bedingungen in dem neuen Gesetz nicht mehr auf. Künftig kann die Justiz bereits tätig werden, wenn "Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage" sind, Gefahren von ihrem Kind abzuwenden.

Außerdem werden in dem Gesetz zum ersten Mal konkrete Maßnahmen aufgelistet, zu denen Eltern verpflichtet werden können. Zypries will damit erreichen, dass Richter "variantenreicher und nachhaltiger" eingreifen.

So sollen Eltern angewiesen werden können, "für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen" oder "öffentliche Hilfen anzunehmen". Darunter fallen vor allem Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge. Richter können Eltern also auffordern, ihr Kind in einen Kindergarten zu geben oder es ärztlich untersuchen zu lassen.

Der neue Maßnahmen-Katalog in Paragraph 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sieht außerdem Kontaktverbote vor. So kann Vätern oder Müttern untersagt werden, "Verbindung zum Kind aufzunehmen oder Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen".

Maximal-Sanktionen verhindern

Außerdem kann ihnen verboten werden, "vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung zu nutzen" oder "andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält".

Neu sind auch die "Erziehungsgespräche", zu denen Eltern künftig vom Gericht einbestellt werden können. Wer einen solchen Termin ignoriert, wird mit einem Ordnungsgeld bestraft.

Bisher heißt es im BGB lediglich, die Familiengerichte hätten "die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen". Wegen dieser offenen und abstrakten Formulierung werden viele bereits mögliche Schutzmaßnahmen von den Gerichten nicht genutzt.

In der Praxis beschränken sich die Richter zumeist darauf, den Eltern das Sorgerecht ganz oder teilweise zu entziehen. Um diese harte Sanktion zu vermeiden, werden Gerichte oft erst spät, manchmal zu spät, angerufen. Das Angebot schwächerer Sanktionen im Gesetzentwurf soll dies endlich ändern.

Bisher geht es noch in 80 Prozent aller Fälle um die Maximal-Sanktion: den Entzug des Sorgerechts. Gerichte und Jugendämter würden damit "bei Weitem nicht die Vielfalt der Eingriffsmaßnahmen" ausschöpfen, heißt es in dem Gesetzentwurf.

Mit all den Änderungen des Sorgerechts erleichtert die Regierung Jugendämtern und Familiengerichten den Schutz von Kindern. Voraussetzung ist allerdings, dass diese ihre Möglichkeiten auch nutzen - anders als im Fall Kevin.

© 11.07.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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