Kernkraft:Druck im Reaktor

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Heiße Ware: Brennstäbe in der Brennelementefabrik Lingen. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Mit aller Macht wollte die Brennelementefabrik in Lingen einen Atomtransport quer durch Deutschland erzwingen. Das kam nicht überall gut an.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Ehe ein Atomtransport das Land durchqueren kann, gibt es jede Menge Papierkram. Die Sicherheitsanforderungen sind hoch, ein Bundesamt muss jedes Detail abklopfen. Papierkram wie in den vergangenen Wochen aber gab es noch nie.

Ein Atomtransport aus dem niedersächsischen Lingen soll rollen, mit 134 frischen Brennelementen für das Schweizer Atomkraftwerk Leibstadt. Schon am Dienstag soll der erste Teil der Lieferung auf die Reise gehen, so hat es Lingen-Betreiberin Framatome zugesagt. Als sich aber die Genehmigung hinzog, griff die Industrie zu den Waffen des Wortes. Und wie.

"Leider müssen wir feststellen, dass unsere Mandantin nunmehr in gravierende Schwierigkeiten gebracht wird - evtl. gar gebracht werden soll", schrieben die Framatome-Anwälte Anfang August dem zuständigen Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit. Man sei beauftragt, "alle rechtlichen Schritte zur Schadensminderung einschließlich einstweiliger Anordnungen, einer Untätigkeits- sowie ggf. einer Amtshaftungsklage vorzubereiten". Das klang wie eine Drohung.

Der Wirtschaftsverband Kernbrennstoffkreislauf wandte sich gleich an Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), oberste Dienstherrin der Genehmigungsbehörde. "Wir bitten Sie hiermit dringlich, auf die Ihnen nachgeschalteten Behörden einzuwirken", schrieb der Verband. Das Genehmigungsvakuum sei "ein für uns nicht länger hinnehmbarer Zustand". Im Übrigen drohten "internationale Verwicklungen", die auch zu "kritischen Nachfragen von Seiten des schweizerischen Bundesamtes für Energie" führen könnten. Selbst die Schweizer Botschaft schaltete sich ein und intervenierte bei mehreren Bundesministerien. Größere Geschütze wurden selbst zu Hochzeiten des Atomkonflikts nicht aufgefahren.

Die Genehmigung hat die Tochterfirma des französischen Framatome-Konzerns nun, diesen Donnerstag wurde sie erteilt - nachdem die Transporteure letzte Unterlagen nachgereicht hatten. Die Verärgerung aber bleibt, und sie ist groß. "Ein solcher politischer Druck auf eine Genehmigungsbehörde ist unerträglich", sagt Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth, "und das, obwohl bis zum Schluss Unterlagen gefehlt hatten, die die Behörde brauchte, um den Antrag zu prüfen." Erst Mitte Juli waren neue Sicherheitsanforderungen in Kraft getreten, sie sollen Transporte besser vor terroristischen Angriffen schützen. "Wir reden hier von einem Hochsicherheitsbereich", sagt Flasbarth, "da lassen sich Genehmigungen nicht erzwingen."

Zuvor hatte sich auch das Bundesamt an die Framatome-Anwälte gewandt. Man hoffe, der "zunehmende Eindruck täuscht", so schrieb die Behörde, "dass eine Genehmigungsbehörde im Hochrisikobereich zu einer atomrechtlichen Transportgenehmigung genötigt werden soll." Nein, nein, der Eindruck täusche, erwiderte die Kanzlei eilig. Framatome selbst wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

Die Nervosität freilich kommt nicht von ungefähr, denn die Brennelementefabrik steht öffentlich zunehmend infrage. Nicht jedem erschließt sich, warum ein Land zwar per Gesetz aus der Atomenergie aussteigt, aber gleichzeitig Reaktoren in halb Europa weiter fleißig mit Brennstoffen versorgt. Zumal viele dieser Reaktoren nicht mehr die jüngsten sind und die Folgen eines Atomunfalls an den deutschen Grenzen nicht haltmachen.

Nordrhein-Westfalen stört sich an deutschen Lieferungen für Pannen-Meiler in Belgien

Deshalb auch findet sich ein Passus dazu im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Man wolle verhindern, heißt es dort, "dass Kernbrennstoffe aus deutscher Produktion in Anlagen im Ausland, deren Sicherheit aus deutscher Sicht zweifelhaft ist, zum Einsatz kommen". Der Absatz zielt vor allem auf die umstrittenen belgischen Kraftwerke Doel und Tihange, die zum Teil aus Lingen versorgt werden; auch der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen sind die grenznahen Atommeiler ein Dorn im Auge. Schließlich, so schrieb Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) erst jüngst an die Umweltministerin, seien alte Kernkraftwerke störanfälliger, "wie gerade die belgischen Anlagen zeigen".

Auch Framatome wähnte das Unheil in Belgien: Angesichts der Debatten um Doel und Tihange wolle man "in Erinnerung rufen", so schrieben die Anwälte, dass weder Ausfuhr noch Beförderung "aus politischen Gründen versagt oder verzögert werden darf".

© SZ vom 11.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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