Katholische Kirche:Verzagt versagt

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Das Urteil gegen den australischen Kardinal Pell zeigt: Die Zeit ist vorbei, als falsche Gnade vor Recht erging. Aber die deutschen Bischöfe haben diese Botschaft offenbar nicht verstanden.

Von Matthias Drobinski

Ein weiterer Tag im Leben der krisengeschüttelten katholischen Kirche: Ein Richter in Australien verurteilt den Kurienkardinal George Pell zu sechs Jahren Gefängnis, weil er einst einem Chorknaben sexuelle Gewalt antat; Pell bestreitet das bis heute. Vor 20 Jahren wäre die Angelegenheit wohl glimpflich für den Kirchenmann ausgegangen, der bestens mit der Elite des Landes vernetzt ist; sein lautstarkes "Nicht schuldig" hätte hinweggefegt, was der Junge von einst da gegen ihn vorbrachte. Nun aber hat die Jury dem Betroffenen geglaubt und nicht dem einstigen Finanzchef von Papst Franziskus, einem der ranghöchsten Männer im Vatikan. Nun gibt der Richter in Melbourne Georg Pell mit auf den Weg: "Die Schamlosigkeit Ihres Verhaltens ist bezeichnend für Ihr Verständnis von Autorität und Macht im Bezug auf die Opfer." Es ist ein vernichtendes Urteil: Du hast den Namen Gottes missbraucht, um Kinderseelen zu töten. Ein weltlicher Richter führt dem Kardinal das Ausmaß seines moralischen Versagens vor Augen.

Ein paar Stunden später, auf der anderen Seite des Erdballs, tritt in Lingen im Emsland der Trierer Bischof Ackermann vor die Journalisten und erklärt, was die deutschen Bischöfe künftig tun wollen, um Missbrauchsfälle besser aufzuarbeiten: Sie wollen mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Missbrauchsfälle kooperieren. Sie wollen prüfen, wie das Verfahren für Entschädigungszahlungen verbessert werden könnte; suchen nach Partnern für Anlaufstellen und nach "praxisorientierten Standards für die Personalakten der Kleriker". Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode hat den Mitbrüdern eindringlich ins Gewissen geredet: Nur eine Kirche ohne Doppelmoral kann das Vertrauen der Menschen wiedergewinnen. Nicht alle Bischöfe denken wie Pell.

Die Absichtserklärungen der Bischöfe sind ehrenhaft und in der Sache richtig - und trotzdem enttäuschend. Spätestens seit 2010 zeichnen sich Ausmaß und systemische Ursachen des Skandals ab. Seit vielen Jahren warten Betroffene auf Aufarbeitung und Gerechtigkeit, viele Gläubige auf ein grundsätzliches Umdenken ihrer Kirche. Jetzt, neun Jahre später, prüfen, diskutieren, evaluieren die Bischöfe Maßnahmen, die es schon seit vielen Jahren geben müsste. Und gerade in der Frage, ob die katholische Kirche nicht grundsätzlich anders als bisher über Macht, Klerikalismus und Sexualität reden müsste, gibt es keine Einigkeit. Niemand versucht mehr, das Thema zu verharmlosen - was immerhin schon ein Fortschritt ist. Aber eine ganze Reihe von Bischöfen findet offenbar, dass es damit auch genug ist.

Nur: Das reicht nicht. Es reicht zum Glück nicht mehr, weil der strenge Richter des Kardinals Pell den Perspektivwechsel im Blick auf die katholische Kirche zeigt: Die Zeit ist vorbei, als falsche Gnade vor Recht erging. Die Kirche ist beweispflichtig geworden. Was tut sie, um die Gewalt aufzuarbeiten und künftig zu verhindern? Doch die Gemeinschaft der Bischöfe zeigt sich zerrissen, gespalten, geradezu paralysiert von dem Sturm, der da gerade über sie hinwegfegt. Als sie sich das letzte Mal in Lingen trafen, genau vor 20 Jahren, war das schon einmal so: Damals hatte die Konferenz nicht den Mut, offen Nein zu sagen zur Forderung von Papst Johannes Paul II., aus der staatlichen Schwangerenberatung auszusteigen. Der Glaubwürdigkeitsverlust war enorm. Nun wird Lingen zum zweiten Mal zum Ort des Verzagens und Versagens.

© SZ vom 14.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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