Katholische Kirche:Näher ans Leben

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Was die Amazonas-Synode gewagt hat, ist dramatisch.

Von Matthias Drobinski

Papst Franziskus hat, als er sein Amt 2013 antrat, den Satz formuliert: "Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee." Das ist gewagt für eine Kirche, deren Glaube ja über die Wirklichkeit hinausgehen muss. Es ist aber für sie eine notwendige Prüfung: Ideen, Ideale, Zeichen, die sich von der Wirklichkeit der Menschen lösen, verlieren ihre Bedeutung. Sie bleiben interessante Vorstellungen; den Sitz im Leben haben sie verloren.

Das ist die große Leistung der Bischöfe und ihrer Beraterinnen und Berater, die am Sonntag die Amazonas-Synode in Rom beendet haben: Sie haben sich der Wirklichkeit gestellt und sie ins Verhältnis zu den Ideen und Idealen ihrer Kirche gebracht. Sie haben den indigenen Frauen und Männern, die von der Zerstörung ihres Lebensraumes, des Regenwaldes, berichteten, ebenso zugehört wie den Klimaforschern, die erklärten, welche Auswirkungen das für die ganze Welt haben könnte. Sie haben daraus die Konsequenz gezogen: Der Schutz der Menschenwürde und die Bewahrung der Schöpfung sind untrennbar. Und wenn das so ist, stellt das auch den Lebensstil in den reichen Ländern infrage.

Genauso aber haben die Synodenteilnehmer sich der Wirklichkeit ihrer Kirche gestellt. Wenn sie den Menschen im Amazonasgebiet nahe sein will, dann genügt es nicht, wenn zwei- oder dreimal im Jahr ein zölibatär lebender Sakramentenspender eingeflogen kommt und auf Vorrat Hostien weiht. Die Bischöfe haben eine mutige Unterscheidung getroffen: Der Auftrag Jesu, das Mahl zum Gedenken an seinen Tod und seine Auferstehung zu feiern, wiegt schwerer als die Zölibatsregel, von der kein Wort in der Bibel steht. Also können, wo zölibatäre Priester fehlen, auch bewährte, verheiratete Männer geweiht werden. Und wenn vor allem die Frauen in diesen Gemeinden den Glauben weitergeben, dann muss darüber diskutiert werden, wie ein Diakoninnenamt für sie aussehen könnte. Ganz beiläufig hat die Synode sich über das Dekret von Papst Johannes Paul II. hinweggesetzt, der vor 25 Jahren die Diskussion über Weiheämter für Frauen für beendet erklärt hatte - in dem Irrtum, ein solches Verbot könne die Wirklichkeit außer Kraft setzen.

Die in Rom versammelten Bischöfe haben weder den Zölibat aufgehoben noch das Frauenpriestertum eingeführt; sie haben dem Papst Vorschläge unterbreitet, oft so vorsichtig formuliert, dass Außenstehende zu Recht fragen können: Das soll ein Fortschritt sein? Das aber würde den dramatischen Perspektivwechsel verkennen, den die Synode gewagt hat und der einer Minderheit von Bischöfen große Schmerzen bereitet. Es ist der Abschied vom alten Dogmatismus, der die Idee geradezu polemisch über die Wirklichkeit setzte; der den Glaubenssinn des Gottesvolkes als minderwertig diffamierte - ob beim Zölibat, dem Frauenpriestertum, der Sexualmoral. Die Synode hat eine Tür geöffnet, was wohl auch die Absicht von Papst Franziskus war. Durch sie können auch andere Ortskirchen gehen.

Der Weg in die Beliebigkeit wäre das nicht, wie nun die Konservativen in der Kirche fürchten. Ein freiwilliger Zölibat - als eine Form unter mehreren des priesterlichen Lebens von Frauen und Männern - könnte zum Beispiel tatsächlich wieder zum Symbol der radikalen Hingabe an eine Idee werden. Er müsste nicht mehr klerikal überhöht werden, um den Zwang zu rechtfertigen. Er wäre eine individuelle Entscheidung, ein Zeichen in der Welt.

© SZ vom 28.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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