Katholikentag:"Das Staatsschiff ist nicht im Orkan"

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In Leipzig warnt Bundespräsident Joachim Gauck Politik und Bürger davor, sich von Ängsten treiben zu lassen.

Von Matthias Drobinski, Leipzig

Die Politik soll sich nicht von Ängsten treiben lassen, hat Bundespräsident Joachim Gauck auf dem Katholikentag in Leipzig gesagt. "Man darf nicht gleich erschrecken, wenn einer sagt: Angst, Angst, Angst", so der Bundespräsident. In der Auseinandersetzung zähle "das Argument, nicht das ängstliche Gesicht". Es gebe derzeit zwar Wellen, "aber das Staatsschiff ist nicht im Orkan", sagte das deutsche Staatsoberhaupt auf einem Podium zum Thema "In welcher Gesellschaft wollen wir leben?" über die "Visionen eines realistischen Miteinanders" angesichts zunehmender Konflikte in der Gesellschaft und des schwindenden Vertrauens in Staat und Institutionen.

Gauck warnte vor überzogenen Ansprüchen an den Staat und die Politik. Es gebe "eine Sehnsucht, das Paradies unmittelbar in die Politik umsetzen zu können," sagte Gauck. Und dann sei man enttäuscht, "dass die Politik an diesem Anspruch scheitert." Er rief dazu auf, zu akzeptieren, dass die Politik manchmal nur das "etwas Bessere" oder das "etwas weniger Schlechte"erreichen könne. In Deutschland sei dennoch die Zufriedenheit der Bürger mit ihrem Leben "signifikant stärker als in Ländern, in denen ein starker Mann herrscht." Die Angst vor dem Fremden, ob dem Islam oder Flüchtlingen, nannte Gauck menschlich; es komme darauf an, wie man mit ihr umgehe. Klar trennen wolle er sich aber "von denjenigen, die auf den Ängsten ihr politisches Süppchen kochen."

Die Politik kann nicht immer für das Paradies auf Erden sorgen: Bundespräsident Joachim Gauck besucht den Katholikentag in Leipzig. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Bei dem Gottesdienst zu Fronleichnam mit schätzungsweise 15 000 Teilnehmern rief der Berliner Erzbischof auch religionslose Menschen auf, gemeinsam mit den Christen an einer solidarischen Gesellschaft zu arbeiten. "Kämpfen wir an unseren Orten und zu unserer Zeit für das Leben der Menschen", sagte Koch, der bis vor einem Jahr Bischof von Dresden war. Bereits am Mittwoch hatte Papst Franziskus in seiner auf deutsch gelesenen Botschaft die Katholiken aufgerufen, sich den Schwachen und Ausgestoßenen zuzuwenden.

Auf Empörung bei Kirchenvertretern stieß die Behauptung des bayrischen AfD-Vorsitzenden Petr Bystron, die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände machten mit der Flüchtlingshilfe Milliardengeschäfte und hätten "aus kommerziellen Gründen" ein Interesse an weiterer Zuwanderung. Der Sprecher der katholischen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, nannte die Äußerungen ein durch nichts belegtes "Gequatsche". Berlins Erzbischof Heiner Koch sprach von einer Unverschämtheit. Die AfD ist nicht zu den Foren des Katholikentags geladen.

© SZ vom 27.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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