Katastrophenschutz:Zum Heulen

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"Mit Weckeffekt": Die Alarmsirene geriet nach dem Ende des Kalten Kriegs ein wenig in Vergessenheit. Nun erlebt sie ein Comeback - denn nicht alles lässt sich durch Smartphone-Apps ersetzen.

Von Christoph Koopmann

Neulich hätten die neuen Sirenen den Osnabrückern womöglich schon helfen können: In einem Gewerbegebiet brannten ein Autohaus und die Halle eines Chemieunternehmens, inklusive einiger Fässer Ethanol. Eine dicke, schwarze Rauchwolke stieg auf und erst war unklar, ob giftige Stoffe freigesetzt wurden. Da sollten die Bürger vorsichtshalber Fenster und Türen geschlossen halten - informiert wurden sie via Rundfunk und Warn-Apps. Nur, was tun, wenn Radio, Fernseher und Handy mal ausgeschaltet sind?

Politik und Verwaltung in Osnabrück sind sich schon seit Jahren einig, dass diese Warnmethoden nicht reichen. Früher gab es in Osnabrück 99 Sirenen, die die Bürger bei Gefahr aufgeschreckt hätten. Davon sind aber nur noch zwei übrig. Deshalb beginnt eine Spezialfirma gerade damit, ein neues Netz aus 26 Hochleistungssirenen aufzubauen. Denn: "Eine sichere und flächendeckende Warnung der Bevölkerung ist ausschließlich durch ein stationäres Sirenensystem möglich", sagt Stadtsprecher Gerhard Meyering. Oder, wie es das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ausdrückt: "Warnmittel mit Weckeffekt sind bisher nur Sirenen."

Nicht nur Osnabrück entdeckt die gute alte Zivilschutzsirene wieder. "Wir nehmen schon seit einiger Zeit die allgemeine Tendenz vieler Kreise und kreisfreien Städte wahr, ihr Sirenennetz wieder auszuweiten", sagt BBK-Präsident Christoph Unger. Diesen Trend sehen auch die Innenministerien von Niedersachsen und Bayern. In Nordrhein-Westfalen etwa gab es vor zwei Jahren noch 4300 Sirenen, nun sind es schon 4900.

Zu Zeiten der deutschen Teilung gehörten Sirenen zum Alltag, regelmäßig heulten sie probeweise. Auf beiden Seiten der Grenze verfügte man über flächendeckende Netze. Gedacht waren sie für den Ernstfall, der damals bedeutet hätte, dass der Kalte Krieg heiß wird. Nach der Wende überließ der Bund die damals etwa 80 000 Sirenen in Ermangelung konkreterer Luftangriffsgefahr den Kommunen. Die allerdings sparten sich das Geld für Betrieb und Wartung zumeist, so auch in Osnabrück.

Das BBK zählte zuletzt 2015 durch, da waren 32 000 Sirenen übrig. Nur ein Drittel davon wäre noch in der Lage gewesen, den einminütigen Heulton herauszupusten, der früher einmal "Luftalarm" bedeutete und heute für jede Art Katastrophe verwendet wird.

Davon gebe es ja mittlerweile immer mehr, sagt BBK-Präsident Unger, was ein Grund sein dürfte für das Comeback der Sirene. Er zählt die jüngeren Naturkatastrophen auf, Hitzewellen, Starkregen und Hochwasser. Auch Anschläge wie in Halle und Hanau oder die Corona-Pandemie hätten "den Stellenwert des Warnsystems erhöht", sagt Unger. Und das effektivste Mittel sei nun einmal die Sirene.

Vom "Weckeffekt" kann man sich demnächst überzeugen, zumindest da, wo es noch - oder wieder - Sirenen gibt: Am 10. September findet der erste bundesweite "Warntag" statt, an dem Durchsagen, Apps und Sirenen getestet werden. Künftig soll es den Probelauf stets am ersten Septemberdonnerstag geben. 2021 dürften dabei auch die Osnabrücker hochschrecken. Dann sollen die neuen Sirenen bereit sein.

© SZ vom 03.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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