Kasachstan:Schulpflicht für alle Bürger

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Das zentralasiatische Land stellt vom kyrillischen auf das lateinische Alphabet um. Die russische Welt wird kleiner.

Von Julian Hans

Ein ganzes Volk muss noch einmal auf die Schulbank, Bibliotheken von Büchern müssen neu herausgegeben, Straßen und Plätze neu beschildert werden. Für die Selbstfindung einer Nation sind keine Mühen zu groß. Binnen acht Jahren soll Kasachstan von kyrillischer auf lateinische Schrift umstellen. Nach dem Willen von Präsident Nursultan Nasarbajew wird die Reform bis 2025 abgeschlossen sein.

"Ab 2018 müssen Lehrer für das neue Alphabet ausgebildet und neue Schulbücher gedruckt werden", schrieb Nasarbajew. Millionen Kasachen müssen wieder lesen und schreiben lernen. Damit beschleunigt er einen Prozess, der schon lange im Gespräch war, bisher aber nie konkrete Formen angenommen hatte.

Kasachstan ist ein Nachzügler. Gleich nach dem Zerfall der Sowjetunion hatten die Staaten im Kaukasus und in Zentralasien mit mehrheitlich turksprachiger Bevölkerung vereinbart, ein um lokale Laute modifiziertes lateinisches Alphabet einzuführen. Turkmenistan, Usbekistan und Aserbaidschan haben das längst umgesetzt. Nur Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan benutzen noch ein modifiziertes kyrillisches Alphabet.

Es wäre die dritte Schriftreform innerhalb eines Jahrhunderts: 1929 stellten die Kasachen von arabischen auf lateinische Schriftzeichen um, 1940 folgte die Anpassung an das in der Sowjetunion vorherrschende Kyrillisch. Seit der Unabhängigkeit pflegt Astana eine enge Verbindung zu Moskau. Es gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Eurasischen Zoll- und Wirtschaftsunion. Nasarbajew soll den russischen Präsidenten Wladimir Putin sogar auf die Idee für dieses Gegenmodell zur EU gebracht haben, heißt es.

Doch nun folgt er einem Trend, der bei allem russischen Großmachtgetöse der vergangenen Jahre kaum wahrgenommen wurde: Die Gesellschaften der ehemaligen Sowjetrepubliken lösen sich von der russischen Welt. Laut einer Studie der Forschungsgruppe Euromonitor International ist der Anteil derer, die Russisch als ihre erste Sprache bezeichnen, im vergangenen Jahrzehnt in fast allen diesen Staaten deutlich gefallen. In Lettland von 41 auf 30 Prozent, in Estland von 33 auf 23 Prozent und in Kasachstan von 34 auf 21 Prozent. Verglichen wurden Statistiken der Jahre 1994 und 2016.

Die Abwanderung vieler Menschen nach Russland ist eine Ursache. Bei den zentralasiatischen Staaten spielt auch die deutlich höhere Geburtenrate der Titularnationen eine Rolle. Einzige Ausnahme ist Weißrussland, wo der Anteil derer, die Russisch als Muttersprache angaben, gestiegen ist. Insgesamt ist die Verbreitung des Russischen in den letzten 20 Jahren stärker zurückgegangen als die irgendeiner anderen Sprache.

In der Ukraine nutzte Moskau die Sprachenfrage als Vorwand für einen Krieg, um seinen politischen Einfluss zu verteidigen. Von den etwa 18 Millionen Einwohnern Kasachstans sind dreieinhalb Millionen Russen. Kasachisch ist Amtssprache, der besondere Status des Russischen ist aber in der Verfassung festgeschrieben. Für die Russen würde sich durch die Umstellung wenig ändern, sie können Kasachisch derzeit zwar lesen, aber deshalb noch nicht verstehen.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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