Kanzlerkandidaten-Diskussion der SPD:Das Kreuz mit der Urabstimmung

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Ein Mitgliederentscheid über den Kanzlerkandidaten der SPD wäre allenfalls dann sinnvoll, wenn Beck nicht selbst antritt. Zudem ist eine Urabstimmung keine Garantie für eine weise Entscheidung.

Heribert Prantl

Mit dem Mitgliederentscheid ist es wie mit dem Sozialismus: In der Theorie ist er etwas Großartiges, in der Praxis hat er noch nicht funktioniert. Beim Mitgliederentscheid liegt das wohl daran, dass er die Gelegenheit, sich zu bewähren nie hatte; das unterscheidet ihn vom Sozialismus: Der Mitgliederentscheid wurde nur sporadisch eingesetzt - als Verlegenheitslösung oder als Machtinstrument in der Hand der Parteiführung.

Heftig in der Kritik: SPD-Chef Kurt Beck (Foto: Foto: AP)

Ein Segen war die Mitgliederbefragung weder hier noch dort. Allenfalls Günther Oettinger dürfte anderer Meinung sein. Er wurde 2004 von den CDU-Mitgliedern in Baden-Württemberg Anette Schavan als Ministerpräsident vorgezogen.

Instrumente der innerparteilichen Demokratie sind Mitgliederentscheide leider nie geworden. Sie könnten dazu beitragen, aus Funktionärsvereinen lebendige Parteien zu machen. Andererseits dürfen sich Parteien auch nicht zum Meinungsforschungsinstitut degradieren; eine Partei ist mehr als Infratest plus Abgeordnete.

Aber diese Gefahr hat niemals gedroht. Urabstimmungen über Sachfragen, wie sie vor 15 Jahren von der SPD beschlossen wurden, hat es nie gegeben. Schröder und Co haben einen Mitgliederentscheid über ihre Agenda tunlichst vermieden. Eine Basis-Entscheidungskultur konnte sich nicht entwickeln.

Die Hoffnung der SPD-Basis, das könnte sich ändern, wenn man nun den Kanzlerkandidaten per Mitgliederentscheid kürt, ist anrührend, aber naiv. Beck-Anhänger meinen gar, verleitet von falschen Freunden, auf diese Weise könne man den Vorsitzenden stärken. Das ist ein Irrtum.

Eine Wahl, die eine Wahl sein soll, setzt voraus, dass jemand gegen den kanzlerkandidierenden Parteichef kandidiert - was aber per se dessen Schwächung bedeutet. Die Urabstimmung wäre allenfalls dann sinnvoll, wenn Beck nicht selbst antritt, es aber etliche andere Bewerber gibt.

So war das 1993, damals suchte die SPD einen neuen Vorsitzenden. Es gab die Wahl zwischen Scharping, Schröder und Heidi Wieczorek-Zeul. Die Kampagne erfrischte die auch damals sieche Partei so wunderbar, dass es den Gegnern solcher Experimente die Sprache verschlug. Aber dies Wunder hielt nicht lang an und Sieger Scharping erwies sich nicht als Gewinn. Das Licht von 1993 leuchtet also der SPD nicht in die Zukunft. Die Erfahrung bei anderen Parteien ist nicht besser.

1995 haben 21.494 FDP-Stimmen gereicht, um die Verfassung zu ändern: Die FDP war Koalitionspartner Kohls, die Mitglieder entschieden sich, gelenkt von Parteichef Gerhardt, für den Lauschangriff - gegen die Linie aller Parteitage. In der Folge wurde, zum Schaden des Rechtsstaats, das Wohnungsgrundrecht kastriert. Die Urwahl war von der FDP-Führung missbraucht worden, um die Linksliberalen zu eliminieren. Die erzielen ihre Erfolge jetzt als außerparlamentarische Opposition, mit Verfassungsbeschwerden in Karlruhe.

Das alles zeigt: Ein Mitgliederentscheid ist keine Garantie für eine weise Entscheidung.

© SZ vom 27.03.2008/schä - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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