Kampf gegen Antisemitismus:Mehr Sicherheit, mehr Sichtbarkeit

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Bund und Länder wollen jüdisches Leben besser schützen - mit schusssicheren Scheiben und mit Aufklärung.

Von Jakob Wetzel, München

Sukkot, das jüdische Laubhüttenfest, soll 2021 nicht nur in Synagogen und Gemeinden gefeiert werden, sondern auf den Straßen. (Foto: Annette Riedl/picture alliance/dpa)

Sie fordert schärfere Strafen für antisemitisch motivierte Taten, eine effizientere Strafverfolgung und mehr Sensibilität bei Polizei und Staatsanwälten für Judenhass - doch sie wünscht sich auch, dass Juden in Deutschland nicht länger vor allem als Opfer wahrgenommen werden, sondern als Mitbürger. Die neue Bund-Länder-Kommission der Antisemitismus-Beauftragten ist in München zu ihrer ersten inhaltlichen Tagung zusammengetreten; am Dienstag hat sie zum Abschluss der zweitägigen Gespräche ihre ersten Vorschläge vorgelegt. "Seit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle sind bereits einige wichtige Maßnahmen ergriffen worden", sagte der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben, Felix Klein, der die Kommission derzeit mit dem Beauftragten Bayerns, Ludwig Spaenle, leitet. "Aber es ist noch viel zu tun."

Die Beauftragten hätten vor allem über den Schutz von jüdischen Einrichtungen und Personen gesprochen, sagte Klein. Man müsse rasch für mehr Sicherheit sorgen, sei es durch Schleusen, durch den Einbau schusssicherer Scheiben oder auch dadurch, dass Überwachungskameras ihre Bilder nicht mehr nur in die Gemeindezentren übertragen, sondern auch zur Polizei. "Das kostet Geld", sagte Klein, aber daran dürfe es nicht scheitern. Außerdem sollten Gemeinden und Behörden vertrauensvoller miteinander kommunizieren. "Es gibt immer noch viel zu viele Polizeibeamte, die eine Synagoge, die sie schützen sollen, nur von außen kennen", sagte Klein. "Die Bekämpfung von Antisemitismus scheitert oft daran, dass er von Polizei und Staatsanwälten gar nicht erkannt wird." Auch das von der Bundesregierung zuletzt beschlossene Maßnahmenpaket gegen Hass, Rechtsextremismus und Antisemitismus reiche seiner Ansicht nach nicht aus.

So hatte sich das Bundeskabinett unter anderem darauf geeinigt, soziale Netzwerke zu verpflichten, strafbare Inhalte ihrer Nutzer von sich aus den Behörden zu melden. Die Antisemitismus-Beauftragten dagegen wünschen sich eine Pflicht für Digitalkonzerne, Staatsanwälten die Klarnamen und IP-Adressen ihrer Nutzer offenzulegen. Bisher würden viele Betreiber die Herausgabe der Daten verweigern, weil sie ihren Sitz im Ausland haben und dort andere Gesetze gelten, sagte Klein am Dienstag. Künftig müsse das Marktort-Prinzip gelten: Es sollten die Regeln desjenigen Landes gelten, in dem die Menschen das Angebot nutzen. Kleins Co-Vorsitzender Ludwig Spaenle nannte das Internet einen "Brandbeschleuniger". Welche Rolle das Netz für potenzielle Attentäter spiele, habe sich in Halle gezeigt: Der mutmaßliche Täter habe sein geplantes Massaker im Internet vorbereitet und die Tat mit Hilfe einer Helmkamera live gestreamt.

321 erwähnte Kaiser Konstantin erstmals jüdisches Leben im heutigen Deutschland

Das Bundeskabinett hatte außerdem beschlossen, Extremisten den Zugang zu Waffen zu erschweren. Mitglieder verfassungsfeindlicher Gruppen sollten keinen Waffenschein erhalten. Klein forderte am Dienstag, auch Waffenbesitzer in den Blick zu nehmen. Er wolle keine Jäger kriminalisieren, sagte er. Es solle aber nicht nur bei der Erteilung eines Waffenscheins eine Anfrage an den Verfassungsschutz gestellt werden, sondern in regelmäßigen Abständen auch bei Waffenbesitzern.

Die Bund-Länder-Kommission fordert außerdem eine Änderung des Paragrafen 46 im Strafrecht. Diesem zufolge spielt es bei der Strafzumessung unter anderem eine besondere Rolle, ob die Tat rassistisch oder fremdenfeindlich motiviert war. Hier solle explizit auch Antisemitismus genannt werden, sagte Klein. "Das ist eine Möglichkeit, das Wort Antisemitismus im Strafrecht zu verankern." Im Bundesrat gebe es schon eine entsprechende Initiative. Und schließlich solle sich die Bundesregierung auch in Europa gegen Antisemitismus einsetzen, sagte Spaenle. Sie solle die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020 nutzen, um in allen Mitgliedsstaaten nationale Strategien gegen Antisemitismus anzuregen.

Speziell in Deutschland biete sich 2021 eine "Chance, Antisemitismus an der Wurzel zu bekämpfen", also mit Aufklärung, sagte Spaenle. Dann ist es 1700 Jahre her, seit in einem Edikt des römischen Kaisers Konstantin erstmals von jüdischem Leben auf dem Gebiet des heutigen Deutschland die Rede war. Das Jubiläum soll groß gefeiert werden, um das jüdische Leben bundesweit sichtbar zu machen. Besonders groß soll zum Beispiel im September 2021 das Laubhüttenfest Sukkot gefeiert werden, nicht nur in den Synagogen und Gemeindezentren, sondern auf den Straßen. Andrei Kovacs ist Geschäftsführer des Vereins, der die bundesweiten Feiern organisiert. "2021 ist kein jüdisches Jubiläum, sondern eines der deutschen Gesellschaft", sagte er. Beim Kampf gegen Antisemitismus gehe es um den Kampf für die Demokratie.

© SZ vom 20.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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