Justizministerin:Löschen und melden

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Christine Lambrecht (SPD) will zukünftig Online-Plattformen verpflichten, Hetze im Netz anzuzeigen. Wenn Facebook und Co. jedoch wirklich jede Morddrohung und jede Volksverhetzung anzeigen würden, könnte das die Staatsanwaltschaft überfordern.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Christine Lambrecht (SPD) hätte bei ihrem Antrittsbesuch in Karlsruhe wohl ohnehin für einen entschiedenen Kampf gegen Hass im Netz geworben. Aber nun, unmittelbar nach den Morden von Halle, schienen die Reformbestrebungen der Bundesjustizministerin durch eine schreckliche Wirklichkeit beglaubigt zu sein. Lambrecht möchte zum Beispiel den strafrechtlichen Schutz von Kommunalpolitikern verbessern. Und sie will namentlich Facebook zwingen, die bisher eher versteckten Wege zur Meldung rechtswidriger Inhalte transparenter zu gestalten. Doch ihr zentrales Anliegen ist eine Anzeigepflicht: Onlineplattformen sollen hetzerische Posts, die von Nutzern beanstandet werden, nicht nur löschen, sondern zudem den Behörden melden.

Wenn die Plattformen wirklich jeden Fall anzeigen, könnte das die Justiz überfordern

Die Details sind noch offen, klar ist aber: Die Anzeigepflicht soll auf "Offizialdelikte" beschränkt sein, etwa auf Morddrohungen, Volksverhetzung oder die Verwendung von Nazisymbolen - Straftaten also, die ohne Strafantrag des Betroffenen von Amts wegen verfolgt werden. Damit sollen die Betreiber solcher Plattformen frühzeitig dazu angehalten werden, die Justiz einzubinden. "Es kann nicht sein, dass das in die Hände der Opfer gelegt wird", sagt Lambrecht. Im Umkehrschluss heißt das: Für Beleidigungen gälte keine Anzeigepflicht, weil hier nur auf Antrag ermittelt wird.

Auf den ersten Blick knüpft Lambrecht damit an eine Entwicklung an, die bereits seit einiger Zeit in Gang ist. Die Netzwerkbetreiber, denen früher eine weitgehend neutrale Stellung als eine Art technischer Dienstleister zugestanden worden war, werden mehr und mehr auch für all den Müll zur Verantwortung gezogen, der auf ihren digitalen Kanälen transportiert wird. Die Löschpflichten des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes - dort will die Ministerin die Anzeigepflicht verankern - waren ein erster Schritt in diese Richtung. Und auch der Europäische Gerichtshof machte kürzlich noch einmal deutlich, dass bei den Pflichten von Facebook und Co. noch Luft nach oben ist.

Zugleich aber wäre eine Anzeigepflicht ein gewisser Systembruch. Im Strafgesetzbuch gilt so etwas nur bei schwersten Straftaten. Auch im Geldwäschegesetz gibt es eine Meldepflicht der Banken für Verdachtsfälle. Ansonsten aber gibt es gerade keine allgemeine Bürgerpflicht, alles anzuzeigen, was einem verdächtig vorkommt. Wahrscheinlich hat das mit einem bestimmten Freiheitsverständnis zu tun; Anzeigepflicht klingt halt auch nach Blockwart.

Schaut man sich die Zahlen gesperrter Inhalte etwa bei Youtube an, mit rund 20 000 Sperrungen allein wegen Hassrede und politischem Extremismus im zweiten Halbjahr 2018, dann drängt sich ein weiteres Problem auf. Wenn die Plattformen wirklich jeden Verdachtsfall anzeigen, dann könnte das Staatsanwaltschaften zum Kentern bringen. Die neue Pflicht könnte einen Berg von Anzeigen produzieren, die auf den Schreibtischen liegen bleiben. Christoph Hebbecker von der Zentral- und Anlaufstelle Cybercrime in Nordrhein-Westfalen wünscht sich deshalb eher "mehr Präsenz von Polizei und Justiz auch im Netz". Soll heißen: Gezielte Onlinestreifen dort, wo Hass und Hetze wabern.

© SZ vom 12.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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