Justiz:Im Auftrag Erdoğans

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In den von Ö. geteilten Facebook-Posts wurde der türkische Präsident Erdoğan unter anderem als „Esel“ bezeichnet. (Foto: Bulent Kilic/AFP)

Türkische Sicherheitsbehörden gehen weiter gegen türkische Erdoğan-Kritiker vor, die in Deutschland leben. Häufig bitten sie dann sogar deutsche Behörden um Hilfe, wenn sie ermitteln. Manchmal sogar mit Erfolg.

Von Volkmar Kabisch und Reiko Pinkert, Berlin

Türkische Sicherheitsbehörden gehen weiter gegen in Deutschland lebende Kritiker vor. Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung wenden sich Ankaras Ermittler hierbei auch an deutsche Behörden.

Für gewöhnlich werden in deutschen Behörden Anfragen aus der Türkei, die eine gewisse politische Brisanz haben, unbeantwortet gelassen. Im Land Berlin werden diese zum Beispiel grundsätzlich einfach zurückgeschickt.

Doch im Fall von Ibrahim Ö. wurde die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern tätig. Diese wurde vom türkischen Generalkonsulat um Rechtshilfe gebeten, um gegen den seit Jahren in Deutschland als Flüchtling lebenden Türken vorzugehen.

Ö. soll vier Facebook-Posts geteilt haben, in denen der türkische Präsident kritisiert wurde. In einem der Beiträge geht es um ein kurdisches Wortspiel, in dem Recep Tayyip Erdoğan als "Kerdoğan" bezeichnet wurde, "ker" bedeutet im Kurdischen "Esel". Ibrahim Ö. soll die Posts nicht selbst verfasst, sondern lediglich geteilt haben.

Die Staatsanwaltschaft im türkischen Iğdır warf in ihrem Ersuchen Ibrahim Ö. neben der Beleidigung des Staatspräsidenten sogar die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor. Über das Generalkonsulat in Berlin wandte sie sich an die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg. Diese eröffnete im März 2018 den Fall gegen Ö. und ließ ihn wegen "des Verdachts der Beleidigung zum Nachteil des türkischen Präsidenten Erdoğan" durch den Staatsschutz vernehmen. Den Vorwürfen wegen des Terrorverdachts wollte die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg hingegen nicht nachgehen. Einem Sprecher zufolge wurde das zuständige Schweriner Justizministerium von den türkischen Behörden über das Rechtshilfeersuchen nicht informiert.

Lukas Theune, der Rechtsanwalt von Ibrahim Ö., findet das Vorgehen der Staatsanwaltschaft höchst fragwürdig. Schließlich sei nach deutscher Rechtsprechung das Teilen von beleidigenden Facebook-Inhalten nicht strafbar. Problematisch sei vor allem, dass die Neubrandenburger Staatsanwälte ursprünglich die Aussage und weitere Daten an das Generalkonsulat übermitteln wollten. "Wenn die Staatsanwaltschaft nun auch noch die persönlichen Daten meines Mandanten an die türkischen Behörden übersendet und ihn und seine Familie damit gefährdet, ist der Justizskandal komplett", so Theune.

Der Beschuldigte Ibrahim Ö. sagte auf Anfrage: "Ich ärgere mich, dass deutsche Behörden Erdoğan helfen. Alle meine Daten stehen in der Akte, Adresse, Telefonnummer." Rechtsanwalt Theune hat beantragt, Aussage und Daten nicht in die Türkei zu schicken. "Die Entscheidung bleibt abzuwarten", sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg.

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sevim Dağdelen, äußerte sich auf Anfrage von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung zu dem Fall: "Es wäre fatal, wenn der Eindruck erweckt wird, dass deutsche Staatsanwaltschaften sich hier zum verlängerten Arm Ankaras machen", sagte sie.

Die meisten Justizministerien in den Bundesländer erfassen Inhalte türkischer Rechtshilfeersuchen nicht statistisch. Die türkische Botschaft wollte auf Anfrage nicht mitteilen, wie viele Ersuchen in letzter Zeit an deutsche Behörden gestellt wurden. Daher bleibt unklar, wie viele solcher Fälle es bundesweit möglicherweise gibt.

© SZ vom 29.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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