Jugendbericht:Langeweile am Nachmittag

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Was bringen Ganztagsschulen den Schülern? Nicht viel, heißt es im Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung. Die Schulen müssten Angebote entwickeln, die Jugendliche wirklich interessieren - und mehr für politische Bildung tun.

Von Thomas Öchsner, Berlin

In Deutschland besuchen immer mehr Schüler eine Ganztagsschule. Die Hoffnungen, die Pädagogen und Politiker mit dem erweiterten Schulangebot verbinden, werden jedoch oft nicht erfüllt. Dies geht aus dem 15. Kinder- und Jugendbericht hervor, den das Kabinett am Mittwoch gebilligt hat. Danach hat sich die Zahl der Ganztagsschulen zwischen 2002 und 2014 von knapp 5000 auf fast 16 500 erhöht. Vier von zehn Schülern der fünften bis zehnten Klassen besuchen mittlerweile eine solche Einrichtung. Die Effekte seien aber "bisher eher mäßig", heißt es in dem 575 Seiten starken Bericht, der sich mit der Lebenssituation der Zwölf- bis 27-Jährigen in Deutschland auseinandersetzt.

Ungeschminkt wird in der Analyse festgestellt: "Bislang konnte ein starker systematischer Zusammenhang des Ganztagsschulbesuchs mit der Verbesserung von Schulleistungen nicht nachgewiesen werden." Auch sei die Ganztagsschule "noch nicht in der Lage, herkunftsbedingte Ungleichheiten in der Bildungsförderung abzubauen". Positive Effekte zeigten sich nur im "leicht verbesserten Sozialverhalten der Schüler" und in einer "leicht sinkenden Zahl von Klassenwiederholungen".

Außerdem wird kritisch angemerkt, dass die Schulangebote am Nachmittag für ältere Schüler meist nicht passten. "Insbesondere zeigt sich mit steigendem Alter ein allmähliches Abwählen des Ganztags", schreiben die Autoren in ihrem Bericht. Umfragen zeigten, dass ältere Schüler ihre Freizeit lieber selbst gestalten wollten und die Kurse in den Schulen als langweilig und wenig jugendgerecht empfänden.

Der Bericht entstand unter der Leitung des Deutschen Jugendinstituts in München. Dessen Direktor Thomas Rauschenbach sagte, die Ganztagsschulen müssten Angebote entwickeln, "die Jugendliche berühren". Außerdem forderte er - gerade angesichts des erstarkten Populismus' - mehr für die politische Bildung der Jugend zu tun. In dem Bericht wird darauf hingewiesen, dass bei der Bundestagswahl 2013 nur 60 Prozent der unter 30-Jährigen ihre Stimme abgegeben hatten. 1990 waren es gut 70 Prozent. Auch seien nur bis zu drei Prozent der Zwölf- bis 25-Jährigen in Parteien, Gewerkschaften oder Bürgerinitiativen aktiv. Die Bundesregierung sieht dies in ihrer Stellungnahme zu der Untersuchung "mit Sorge" und merkt an: Hierdurch drohe "ein Legitimationsverlust für die parlamentarische Demokratie".

Insgesamt fordern die Verfasser des Berichts mehr Freiräume und Zeit für die Jugend. Die Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium, Caren Marks (SPD), sagte, viele Jugendliche hätten das Gefühl, nur wertgeschätzt zu sein, wenn sie funktionierten. Sie litten unter einer "Verzweckung des Lebens".

Jugendexperte Rauschenbach sagte, das Abitur nach der zwölften Jahrgangsstufe und die beschleunigten Studiengänge hätten die Illusion erzeugt, die jungen Leute könnten schneller fertig und erwachsen werden. Dies sei jedoch "ein großer Trugschluss". Die Jugend sei mit dem 18. Geburtstag nicht abgeschlossen. "Sie zieht sich immer mehr ins dritte Lebensjahrzehnt hinein."

© SZ vom 02.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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