Jamaika-Sondierungen:Ist der Chef noch Chef?

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„Ein Trommelfeuer gegen meine Person“: Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) beklagt den mangelnden Rückhalt in seiner Partei. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Die Verhandler in der Hauptstadt Berlin stellen sich die immer drängendere Frage, was Absprachen mit Horst Seehofer wert sind.

Von Stefan Braun

Für gewöhnlich ist das der Augenblick, um sich zurückzulehnen. Um mal die anderen sich austoben zu lassen und die eigenen Felle ins Trockene zu bringen. Streit in einer anderen Partei? Ach, wie wunderbar. Dann hat die eigene Truppe endlich eine Verschnaufpause.

So verhalten sich Parteien oft, wenn bei der Konkurrenz mal so richtig der Bär tobt. Beim Blick auf die CSU und ihre aktuellen Machtkämpfe ist das allerdings anders. Sie betreffen nicht nur die Christsozialen, sondern auch jene, die mit der CSU in Berlin eine mögliche Koalition sondieren. Offiziell heißt es bei CDU, Grünen und Liberalen zwar, dass die bayerischen Kapriolen an der Spree keine Rolle spielten. Grünen-Chef Özdemir sagt dazu, seine Partei halte sich an den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer, alles andere beschäftige ihn "gegenwärtig" überhaupt nicht. Ähnlich klingen die Liberalen. Deren Vorsitzender sagt, dass die Konflikte in Berlin gar nicht richtig bemerkbar seien.

Doch so plausibel das klingen mag, so unwahrscheinlich ist es, wenn man genauer hinsieht. Ja, sicher, Seehofer führt für die CSU die Berliner Gespräche. Und bislang sitzt niemand neben ihm, der ihm die Chefrolle in diesen Runden streitig machen würde. Aber was äußerlich stabil erscheint, hat eine zweite, nicht unwesentliche Seite. So berichten Vertreter aller Parteien, Seehofer beharre sehr darauf, dass nur er für die CSU Prokura habe. "Wer das betonen muss, wirkt nicht souverän", sagt ein Liberaler. "Es klingt sehr danach, dass da nicht mehr alle das gleiche Ziel haben."

Nun gibt es bei den Grünen manche, die das auch über die FDP und deren Vorsitzenden Christian Lindner berichten. Falsch aber wird die Analyse dadurch nicht; es macht die Lage nur noch komplizierter. Grüne wie Liberale sorgen sich vor allem um die Antwort auf eine Frage: Hält eine Vereinbarung überhaupt, wenn mal eine erreicht sein sollte?

Entsprechende Zweifel schweben inzwischen tatsächlich über den Gesprächen. Ob Christdemokraten, Grüne oder Liberale - alle befürchten, dass sie nach Verhandlungen mit Seehofer alles mit seinen Nachfolgern noch einmal durchkauen müssten. Reinhart Bütikofer von den Grünen sagt dazu: "Wenn Seehofer die CSU nicht von Jamaika überzeugen kann, kann er ihr insgesamt keine Zukunft mehr weisen." Das klingt wie die nüchterne Analyse eines politischen Kontrahenten. Aber man könnte es auch ganz anders lesen. Nach dem Motto: Wenn Seehofer es nicht schafft, wird es verdammt schwer werden.

Dieses Gefühl ist in den vergangenen zwei Wochen auch dadurch entstanden, dass Seehofer nach Berichten von allen anderen Gesprächspartnern betont zugewandt aufgetreten sein soll. Dazu zählten nicht nur seine halb-spontanen Besuche in den Parteizentralen der möglichen neuen Partner. Liberale und Grüne beschreiben auch seine Beiträge in den Sondierungsrunden als nachdenklich, zugewandt, Lösungen suchend. Das dürfte erklären, warum alle bemüht sind, den CSU-Vorsitzenden nicht auch noch durch eigene Äußerungen zu schwächen. "Wir haben gar kein Interesse dran, über die Macht in der CSU nachzudenken oder zu spekulieren", sagt dazu ein Liberaler am Sonntag.

Am heikelsten ist der CSU-interne Streit ohnehin für die Christdemokraten. Allen voran die CDU-Vorsitzende Angela Merkel braucht einen stabilen und verlässlichen Partner an ihrer Seite. Gleichzeitig ist es gerade die Kanzlerin, die sich bei allem am meisten raushalten sollte. Sie weiß, dass der Zorn vieler sich nicht nur gegen Seehofer und sein Hin und Her, sondern bis heute auch gegen ihre eigene Flüchtlingspolitik des Jahres 2015 richtet. Ein Wort zu viel von ihr könnte in der CSU noch mehr Aufruhr auslösen.

Und so dürfte der Grüne Robert Habeck der Kanzlerin - gewollt oder nicht - aus der Seele sprechen, als er fordert: "Wir sollten uns alle am Riemen reißen." Für jeden sei klar, dass der Weg steinig werde. Trotzdem wolle er, dass Jamaika komme. Denn: "Wir brauchen eine legitimierte, handlungsfähige Regierung."

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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