Jahrestag der Ermordung von Jitzchak Rabin:Kind der Rache

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Zum Todestag von Jitzchak Rabin hat sein Mörder Nachwuchs bekommen - der Sohn ist Teil der Propagandaschlacht.

Thorsten Schmitz

Der Polizeioffizier stellt sich mit Namen und Dienstgrad vor und sagt: "Sie sitzen hier, weil Sie angeklagt sind, soeben Premierminister Jitzchak Rabin getötet zu haben." Der junge Mann nickt. An den Händen trägt er Handschellen, auf dem Kopf eine Kippa, mit der religiöse Juden ihre Ehrfurcht vor Gott bekunden.

Larissa Trimbobler: Die Frau des Rabin-Mörders Jigal Amir mit ihrem Baby in Jerusalem. (Foto: Foto: AP)

Der Polizeioffizier fragt den 25 Jahre alten Jigal Amir, wann er seine Wohnung verlassen habe, wann er auf dem zentralen Platz in Tel Aviv eingetroffen sei, der seit dem Mord Rabinplatz heißt. Und weshalb er Rabin umgebracht habe.

"Ich wollte Rabin seit dem Friedensvertrag von Oslo umbringen'', sagt der Mörder. Zum Abschluss des ersten Verhörs von Jigal Amir nach dem Mord fragt der Polizeioffizier: "Sie haben soeben den Premierminister von Israel erschossen. Bereuen Sie Ihre Tat?" "Um Himmels willen, nein!", sagt Jigal Amir.

Die Videoaufzeichnung vom ersten Verhör Amirs nach seinen Todesschüssen vom 4. November 1995 auf Rabin hat in den vergangenen Tagen große Aufregung in Israel verursacht. Auf den Fluren der Knesset war das Video tagelang Gesprächsthema Nummer eins, im Fernsehen wurde es ein ums andere Mal gezeigt.

Vor der Veröffentlichung war es Rabins Tochter vorgespielt worden, Dalia Rabin-Pelossof. Sie sei in Tränen ausgebrochen, sagt sie. Die Eiseskälte, mit der Amir darin den Mord an ihrem Vater rechtfertige, "hat mich fassungslos gemacht". Warum das Video nun plötzlich zum zwölften Jahrestag der Ermordung Rabins aufgetaucht ist, bleibt rätselhaft. Es wäre auch all die vergangenen Jahre zugänglich gewesen.

Bild vom Märtyrer

Wie jedes Jahr in den Tagen vor dem 4.November, wenn sich Hunderttausende Israelis zum Gedenken an ihren ermordeten Premierminister auf dem Rabinplatz versammeln, nutzen die Fans des jüdischen Mörders die mediale Sensibilität für ihre eigene Propagandaschlacht. Auf der Jigal-Amir-Internetseite fordern sie die Freilassung des Mörders, der bis heute seine Tat nicht bereut.

Sie reichen Klage ein, weil die Veröffentlichung des Verhör-Videos nicht in ihr Bild vom Märtyrer passt, der "sein Leben für Israel" geopfert habe. Und sie bringen selbst ein Propaganda-Video in Umlauf. Der Kurzfilm wurde bislang an 150.000 Haushalte in Israel versandt. 15 Minuten lang sieht man darauf Amir als Kind und als Soldat, und man sieht seine Familienangehörigen und seine Unterstützer aus dem extrem rechten Lager.

Amirs Mutter kommt darin zu Wort und sagt, es gebe keine stichhaltigen Beweise, dass ihr Sohn Rabin ermordet habe. Und auch Amirs Ehefrau, Larissa Trimbobler, wird in dem Propagandastreifen gezeigt. Sie freue sich, sagt sie, "endlich einmal nicht von den Medien zensiert" reden zu dürfen.

Was die aus Russland stammende Doktorin der Philosophie indes zu sagen hat, ist nicht neu: Jigal Amir müsse begnadigt werden, schließlich habe er einen Palästinenserstaat verhindert.

Die orthodoxe Trimbobler hat soeben einen Sohn zur Welt gebracht. Amir hat sich lange darum bemüht, eine Erlaubnis auf Freigang zu bekommen. Er wollte der Beschneidungszeremonie seines Sohnes beiwohnen, dem wichtigsten Ritual im Leben eines jüdischen Jungen.

Doch das Gericht lehnte den Antrag ab - genau an jenem Tag, an dem Parlamentspräsidentin Dalia Itzik während einer Gedenkzeremonie ihre Contenance verlor und Amirs Familie zu Ausgestoßenen erklärte: "Sie haben keinen Platz in der israelischen Gesellschaft. Ihr Gott ist nicht unser Gott.''

Kontakt aus Nächstenliebe

Staatspräsident Schimon Peres verurteilte die Tat als "Anschlag auf den Frieden und die Religion". Und an vielen Kreuzungen in Jerusalem und Tel Aviv stehen Jugendliche mit Kerzen und Plakaten in der Hand, auf denen an Rabin erinnert und vor Amir gewarnt wird.

Amirs Gattin hat nun provozierend die Beschneidungszeremonie und das anschließende Fest auf diesen Samstagabend gelegt. Und am Donnerstag entschied ein Bezirksgericht, dass die Zeremonie im Gefängnis stattfinden darf. Genau dann, wenn Hunderttausende auf dem Rabinplatz auf der jährlichen Gedenkveranstaltung über den Mord an Rabin trauern werden. Jenem Premierminister, der sich damals mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat auf den Friedensvertrag von Oslo geeinigt hatte.

Dass Jigal Amir als Gefangener überhaupt eine Frau kennenlernen und heiraten konnte, hat er dem israelischen Grundrecht zu verdanken, das auch für Mörder Besuche erlaubt. Larissa Trimbobler war glücklich verheiratet und Mutter von vier Kindern, als sie zunächst aus Nächstenliebe Briefkontakt mit Amir aufnahm. Irgendwann beschloss sie, Rabins Mörder in der Haftanstalt aufzusuchen. So oft es die Gefängnisleitung zuließ, traf sie Jigal Amir. Irgendwann habe sie festgestellt, verriet sie in einem ihrer seltenen Interviews, dass sie sich in Jigal Amir verliebt habe.

Die vierfache Mutter ließ sich scheiden und heiratete den Rabin-Mörder. Wenige Monate später äußerten beide den Wunsch, ein Kind zu bekommen. In den Medien entfachte das Ansinnen eine wütende Diskussion. Amir müsse der Kindersegen vorenthalten werden, hieß es, er könne nicht einem Menschen das Leben nehmen und einem anderen Menschen das Leben schenken.

Amirs Sohn kam am Todestag Rabins zur Welt

Während Argumente ausgetauscht und Gerichte angerufen wurden, bemühte sich Trimbobler, schwanger zu werden. Nach einem ihrer Besuche in Amirs Haftanstalt in der Kleinstadt Raanana nahe Tel Aviv entdeckten die Wärter bei einer Kontrolle im Frühjahr eine Plastiktüte - darin befand sich Samen von Jigal Amir.

Ungeachtet aller Kritik und Einwände auch der Rabin-Angehörigen wurde Amir nach langem gerichtlichen Procedere vor neun Monaten schließlich ein Schäferstündchen mit Larissa Trimbobler gestattet. Zehn Stunden lang durften sie in einer eigens für diesen Zweck vorgesehenen Gefängniszelle zusammen sein. Dass Amirs Sohn ausgerechnet zum Todestag Rabins zur Welt gekommen ist, erklärte die junge Mutter, sei "das schönste Geschenk in meinem Leben".

© SZ vom 2.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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