Italien:Zum Dienst in Unterhosen

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Ziemlich dreist haben Beamte in Italien ihre Arbeitszeiten gefälscht. Jetzt will eine Ministerin das Problem bekämpfen: Faulen Beamten soll gekündigt werden.

Von Oliver Meiler

Manchmal sagen Minister vernünftige, ja sakrosankte Dinge. Zum Beispiel jetzt Marianna Madia, Italiens junge Ministerin für die Vereinfachung der öffentlichen Verwaltung - ein Titel, der sich in den Ohren der Italiener wie ein hehres Versprechen anhört. Madia also sagte auf einer Konferenz der Privatunternehmer, dass Staatsangestellte, die systematisch vorgeben würden zu arbeiten, und dann doch nicht arbeiteten, entlassen gehörten. Stante pede. Gemeint waren die "fannulloni", die Nichtstuer, die Faulenzer und Dienstschwänzer, von denen es in den italienischen Amtsstuben nun mal etliche mehr gibt als in anderen Erwerbsfeldern. Applaus erhob sich im Saal, als habe die Ministerin ein Tabu gebrochen.

Dabei nahm Marianna Madia nur das jüngste und besonders eklatante Beispiel von massenhaftem Blaumachen unter Beamten auf, das gerade Schlagzeilen macht. Es ist ein Beispiel aus dem schönen Sanremo, 55 000 Einwohner, einem Kurort in Ligurien, nahe der Grenze zu Frankreich. Bisher war der Ort vor allem als "Città dei fiori" bekannt gewesen, als Stadt der Blumen, vor allem Rosen und Nelken, die im milden Klima der Riviera besonders üppig gedeihen. Und natürlich kennt man Sanremo auch für sein Musikfestival, diese pailletten- und oftmals dramenreiche Kirmes für Schnulzensänger und Liedermacher. Nun erfuhren die Italiener also, dass es in der Stadtverwaltung Sanremos recht unblumig und dreist zugeht. Und zwar schon lange.

Die Guardia di Finanza, Italiens Finanzpolizei, ermittelte zwei Jahre, filmte die Eingangshallen von vier Amtsgebäuden und zoomte vor allem auf das Geschehen vor der Stechuhr. Auf den veröffentlichten Aufnahmen sieht man, wie sich Beamte am Morgen mit drei, vier, auch schon mal sechs Ausweisen von Kollegen präsentieren, sie durch den Magnetstreifenleser ziehen und weitergehen. Seelenruhig. Dieselbe Szene am Nachmittag, zum Feierabend. Ein Stadtpolizist stempelte in Unterhose und Unterhemd ab, weil er im Haus wohnt, in dem das Einwohnermeldeamt untergebracht ist. Manchmal schickte er seine Frau, manchmal die Tochter.

Denkwürdig auch der Fall eines Beamten mit Direktionsstatus, zuständig für Unterhaltsarbeiten an Parkbänken und Kandelabern. Ihn hat die Polizei im vergangenen Jahr allein 81-mal dabei erwischt, wie er während der Arbeitszeit mit seinen Freunden Kanu fuhr. Und dann gab es da noch jene, die abstempelten und zum Friseur gingen, zur Maniküre, an den Strand, zum Einkaufen, zum Zweitjob. Alles gefilmt.

Von den 528 Stadtbeamten, die Sanremo insgesamt zählt, sind 271 auf diese Weise kontrolliert worden. Und von diesen 271 stehen nun 195 unter dem dringenden Verdacht, den Staat betrogen zu haben. Das italienische Fernsehen interviewte Bürger Sanremos; und die gaben sich empört, allerdings nicht überrascht: Es sei ja kaum jemals ein Beamter im Dienst gesehen worden, konnte man hören. Die Vorgesetzten wiederum wollen davon nichts bemerkt haben, der Bürgermeister gibt sich selber als Opfer der "fannulloni". Da klingen die Worte der Ministerin wie eine frohe Verheißung, wie die Ankündigung einer Revolution - wenn sie denn nicht wieder verpuffen wie eine süß säuselnde Schnulze.

© SZ vom 09.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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