Italien:Zu wenige Katzen im Sack

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Repräsentieren geht schon: Virginia Raggi als frisch gewählte Bürgermeisterin auf einer Gedenkveranstaltung zu Ehren eines ermordeten Politikers. (Foto: Massimo Percossi/dpa)

Vor zwei Wochen wurde Virginia Raggi von den Cinque Stelle Roms Bürgermeisterin. Noch immer hat sie keine Regierungsmannschaft. Die Protestpartei findet immer mehr Wähler - aber kein gutes Personal.

Von Oliver Meiler

Zwei Wochen sind bald vergangen seit dem Sternenregen über Rom, seit dem Wahlsieg der Cinque Stelle. Und die Stadt hat noch immer keine "Giunta", keine Regierung. Virginia Raggi, die neue Bürgermeisterin, tut sich schwer mit ihrem Amtsantritt - man muss von einem kleinen Drama sprechen. Bisher konnte sie erst fünf Posten besetzen, die Hälfte der Ressorts. In allen anderen Städten, in denen gewählt wurde, sind die Verwaltungen nämlich bereits aktiv. Nur eben in Rom nicht, wo es besonders dringend wäre, dass die Behörden schnell funktionieren, um dem Chaos beizukommen. Da die Verwaltung Roms als Prüfstand gilt für die Protestpartei mit dem konfusen Profil, als Bewährungsprobe für die nationale Regierungsbefähigung der Cinque Stelle, wird diesem Drama in den Medien derzeit viel Aufmerksamkeit zuteil - gepaart mit einer deftigen Dosis Häme.

Schon während der Wahlkampagne hatte die 37-jährige Raggi, von Beruf Anwältin, immer wieder versprochen, sie werde die Namen ihrer Mannschaft vorab bekanntgeben. Es gehe nicht an, sagte sie, dass die Wähler die Katze im Sack kaufen müssten, sie stehe für Transparenz. Zehn Leute, mehr brauche sie nicht - schließlich wolle sie sparen. Es wurden Namen herumgereicht, auch prominente. Manches Gerücht überlebte nicht einmal den Morgen, an dem es in den Zeitungen stand. Einige Genannte dementierten mit einer Vehemenz, als wollten sie ihren Namen nicht mit den Cinque Stelle in Verbindung gebracht sehen. Offenbar versuchte man in der Ferne, sogar im Ausland, gute Leute zu überzeugen. Ohne Erfolg. Es wirkt so, als habe die Partei, die im allgemeinen Verdruss über die alten Eliten tatsächlich Chancen hätte, das ganze Land zu regieren, zu wenig fähiges Personal.

Auch auf den fünf bislang Berufenen lasten die Zweifel. Als Beauftragten für Sport holte Raggi den ehemaligen Rugby-Spieler Andrea Lo Cicero, der sich einst mit homophoben Sprüchen hervorgetan hat. Zu ihrem Kabinettschef beförderte sie den Parteikollegen Daniele Frongia, der zuvor zweieinhalb Jahre im Gemeinderat neben ihr saß, und dem die Boulevardpresse trotz Dementis eine Liaison mit der Bürgermeisterin nachsagt. Über Frongias Ernennung wurde aber vor allem deswegen viel geredet, weil er keine amtlichen Dokumente unterschreiben und keine Spesen bewilligen darf. Ein Gesetz verbietet es Politikern mit Wahlmandaten, nahtlos Managerfunktionen innerhalb derselben Verwaltung zu übernehmen. Nun muss er den "halben Kabinettschef" geben, wie die Lokalpresse genüsslich rapportiert.

Zehn Leute - mehr braucht es nicht, um das Chaos von Rom in den Griff zu bekommen

Für das wichtige Budgetressort sondierte die Bürgermeisterin bei ehemaligen Börsenaufsehern und Mitgliedern des Rechnungshofs. Alle sagten ab. Nun gilt als aussichtsreichste Kandidatin ausgerechnet eine Beamtin, die schon in der Regierung ihres abgesetzten Vorgängers Ignazio Marino gesessen hatte. Das Neue riecht schon ein bisschen abgestanden. Die Zeitung Corriere della Sera schreibt: "In diesem Land mit seiner bürokratischen Komplexität braucht es nun mal Verwalter mit außergewöhnlichen technischen Fähigkeiten."

Als Virginia Raggi zum Amtsantritt mit trikolorer Schärpe auf den Balkon ihres Büros trat, hoch über den Resten des antiken Roms, überkamen sie Tränen. Sie produzierte damit ungewöhnliche, sympathisch menschliche Bilder. Ob die Tränen der Ergriffenheit geschuldet waren oder eher dem ungeheuerlichen Druck, der sich da auf ihre unerfahrenen Schultern legte, ist nicht überliefert. Man hört, Raggi werde ständig von Spitzenleuten aus der Partei beraten und begleitet. Sie bilden gewissermaßen ein Beschattungskabinett. Alles wird unternommen, um sich die Sympathien im Volk nicht mit Dilettantismus zu verspielen. Auch dürfe die Basis nicht ideologisch verwirrt werden.

Die Gefahr ist groß. Seit dem Brexit scheinen die Cinque Stelle nicht mehr genau zu wissen, wie sie es mit Europa halten sollen. Ähnlich wie die meisten europäischen Anti-System-Parteien sind auch die Cinque Stelle, die es seit 2009 gibt, als euroskeptische Kraft gewachsen. Im Europaparlament haben sich ihre 17 Vertreter mit Nigel Farage von der Ukip und mit den Rechtsaußen des Front National von Marine Le Pen verbündet. Als Kitt diente allein der "Anti-Europäismus".

Die Cinque Stelle scheint verwirrt: Wie sollen sie es mit Europa halten, wie mit dem Brexit?

Beppe Grillo, der Gründer und Kopf der Partei, wettert seit Jahren gegen Brüssel und den Euro. Die gemeinsame Währung galt ihm dabei immer als Ausgeburt allen Übels. "Italexit?", fragte noch im vergangenen Februar Alessandro Di Battista, einer von fünf Mitgliedern der Parteidirektion, "ich unterstütze das Unterfangen mit Milliarden von Stimmen".

Nun hat es den Anschein, als sei alles anders. Auf Grillos Blog, der als Zentralorgan und Interaktionsplattform der Partei dient, hieß es nach dem Brexit, die EU müssen "von innen heraus" verändert werden. Di Battista wiederum sagte vor einigen Tagen: "Es war noch nie unsere Idee, ein Referendum über den Austritt Italiens aus der EU zu veranstalten."

Das wäre in Italien laut Verfassung auch gar nicht möglich: Internationale Verträge können nicht vom Volk abgelehnt werden. Dennoch spielten die Cinque Stelle immer ein bisschen mit dieser Eventualität. Um Stimmung zu machen und Stimmen zu gewinnen. Nun schlägt ihnen der Groll vieler Wähler entgegen, die im neuen, beinahe schon europafreundlichen Realismus der Partei Verrat sehen.

© SZ vom 30.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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