Italien:Sternensturz

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Die italienische Protestpartei "Cinque Stelle" will die eigenen Abgeordneten langfristig auf die Parteilinie zwingen - und setzt dabei auf äußerst zweifelhafte Methoden.

Von Oliver Meiler

Die Italiener nennen sie "voltagabbana", und so hübsch das auch klingt: Es ist kein nettes Prädikat. Ein "voltagabbana" ist ein Wendehals. In der italienischen Politik gab es sie immer schon in stattlicher Anzahl, doch noch nie waren sie so zahlreich wie jetzt. In der laufenden Legislaturperiode haben bereits 221 Parlamentarier die Partei verlassen, auf deren Liste sie gewählt wurden. Etwa jeder vierte also. Sie schlossen sich entweder anderen Parteien an oder stärken nun den "Gruppo misto", das Sammelbecken aller Abtrünnigen, Heimatlosen und Mitgliedern von Kleinparteien ohne Fraktionsstärke. Manche wechselten in drei Jahren mehrmals, was die Zahl der Überläufe auf 321 erhöht, Stand Anfang Januar 2016. Ein Rekord eben - und wohl bereits wieder überholt.

Über die Motive lässt sich oft nur spekulieren, es waren wahrscheinlich auch einige noble dabei. Im Volk ist die Praxis verrufen. Das Prinzip des freien Mandats aber, festgeschrieben im Verfassungsartikel 67, gilt als sakrosankt. Es soll damit ja auch vermieden werden, dass je wieder ein Diktator kommt und das Parlament seinem Willen unterwirft. Diesen Hintergrund muss man kennen, um die feurigen Diskussionen zu verstehen, die nun ein eigentlich internes, von der Presse aber veröffentlichtes Papier aus der erfolgreichen Protestpartei Movimento Cinque Stelle (Fünf Sterne) ausgelöst hat.

Es ist ein Vertrag, den die Parteiführung allen Kandidaten bei den baldigen Gemeindewahlen in Rom unterbreitet. Es soll deren Disziplin sicherstellen - und zwar unter Androhung einer hohen Geldstrafe. In dem Papier heißt es, dass jeder Gemeinderat von Cinque Stelle, der dem ethischen Kodex zuwiderhandle und das "Image" der Bewegung beschädige, mit 150 000 Euro bestraft würde. Natürlich wird er dann auch stante pede aus der Partei ausgeschlossen. Als Richter, so steht es im Punkt 9b, treten in erster Linie die beiden Parteigründer auf, der Komiker Beppe Grillo und der Internetunternehmer Gianroberto Casaleggio.

Folgt man der Logik dieser Disziplinierungsmaßnahme, dann könnten die beiden Herren, sollten die Cinque Stelle die Kommunalwahlen denn gewinnen, Roms Bürgermeister jederzeit zum Rücktritt zwingen. Ähnliche Verträge soll es auch in anderen Städten geben, in Turin zum Beispiel. Ganz neu ist die Methode nicht: Den Europaparlamentariern von Cinque Stelle drohen bei Untreue Geldstrafen von 200 000 Euro. Und im nationalen Parlament wurden bereits zwei Dutzend "Grillini" aus der Partei ausgeschlossen, weil sie die Linie nicht genau befolgt haben.

Nun mag es vielleicht populär sein, die verschriene Politikerkaste auf diese Weise an die Kandare zu nehmen. Doch die Methode widerspricht nun mal der Verfassung. Aus dem linken Partito Democratico, der Partei von Premierminister Matteo Renzi, heißt es nun, man wolle ein Gesetz vorantreiben, das die Demokratie innerhalb der Parteien stärke. Die Führung der Cinque Stelle, so konnte man hören, führe sich da "faschistisch" auf. Das ließ sich diese nicht gefallen und konterte, man wohne da vielmehr gerade der Geburt eines "Renzianischen Faschismus" bei. Nun ja, auch das sind keine netten Prädikate. Die klingen noch nicht einmal hübsch.

© SZ vom 11.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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