Italien:Show vor der Synagoge

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Den Gedenkkranz für Holocaust-Opfer, den der Vereinspräsident von Lazio Rom brachte, warf jemand hinab aufs Tiber-Ufer, wo ihn tags darauf Polizisten wegräumen. (Foto: Alberto Pizzoli/AFP)

Der Präsident des Fußballvereins Lazio Rom will sich mit einem Kranz von rechten Fans distanzieren, die das Andenken von Anne Frank missbraucht haben. Das gelingt nur bedingt.

Von Oliver Meiler, Rom

Sie dauerte nur einige Minuten, die Szene vor der Großen Synagoge Roms. Doch da war alles drin, die ganze Konfusion, als wäre es eine einstudierte Parodie. Das Laubgehänge der Platanen an der Uferstraße des Tibers hing schief im Herbstwind, die vielen Reporter und Passanten wärmten sich mit aufgestellten Mantelkrägen an der dünnen Mittagssonne. Alle warteten auf Claudio Lotito, den Präsidenten des Fußballvereins Lazio Rom. Es waren so viele da, dass der Verkehr auf dem Lungotevere stockte.

Als Lotito endlich vorfuhr, auf dem Arm einen Blumenkranz in den Farben des Klubs "für die jüdischen Brüder", gab es einen Moment lang so viel Tumult, dass ein Kameramann aus der hinteren Reihe die drängelnden Kollegen weiter vorne eine "Bande von Behinderten" hieß. Immer wieder, ohne dass sich jemand empört hätte. Bis zuletzt hatte es Zweifel gegeben, ob Lotito überhaupt kommen würde, um sein Bedauern über die eigenen Ultras zu äußern, über die sogenannten Irriducibili, die Unbeugsamen.

Die hatten am vergangenen Sonntag im Olympiastadion Aufkleber an die Trennwände der Südkurve geklebt, auf denen eine Fotomontage abgebildet war: Anne Frank im Trikot des AS Roma, des Stadtrivalen. In der traurigen Logik der "Unbeugsamen" sollte das Bild des jüdischen Mädchens, das mit 15 Jahren im Konzentrationslager Bergen-Belsen umkam, wohl die höchst mögliche Schmähung der Gegner darstellen.

Schwarze Stadion-Kurven, die den Neofaschisten als ihr Versuchslabor dienen

Lotito hatte zwei Spieler mitgebracht. Mit ernsten Mienen bahnten sie sich einen Weg durch den Pulk und lehnten den Blumenkranz an die Mauer der Synagoge. Lotito sagte, er distanziere sich von den Fans. Er wolle nun jedes Jahr für 200 von ihnen eine Reise nach Auschwitz organisieren, damit sie etwas dazulernten. Eine ältere Bewohnerin des jüdischen Viertels, die sich auf die Treppe am Seiteneingang stellte, damit sie nichts von der tragikomischen Szene verpasste, zischte bald: "Schmutzfink, wer glaubt dir schon?" Dann ging sie. Tags darauf veröffentlichte die römische Lokalzeitung Il Messaggero auf ihrer Webseite eine Tonsequenz mit Lotitos Stimme: "Lass uns dieses Theater hinter uns bringen!", sagt er zu einem Mitarbeiter vor dem Besuch der Synagoge. Nun liegen seine Blumen unten am Tiber, samt Widmung. Jemand hat den Kranz entsorgt.

Lazio ist nicht der einzige Verein in Italien, der "schwarze Kurven" hat, solche also, die von der extremen Rechten unterwandert werden. Das Innenministerium hat sie gezählt: Von den 382 italienischen Ultragruppen mit ihren 40 000 Mitgliedern haben 151 einen politischen Hintergrund. 85 davon stehen am rechten Rand: 8000 Ultras insgesamt. Die meisten von ihnen stehen unter Patronat.

Zwei offen neofaschistische Parteien, Forza Nuova und Casa Pound, brauchen die Kurven als "politische Labors", wie die Zeitung La Repubblica es nennt. Sie rekrutieren dort junge Anhänger, und sie tun das mit einigem Erfolg. Früher war beispielsweise die Fanrivalität in Rom auch eine politische: Die Ultras von Roma standen eher links, jene von Lazio rechts. Nun aber herrscht die kleine Forza Nuova, die bei den letzten Parlamentswahlen 0,26 Prozent der Stimmen gewann, in beiden Kurven. Seitdem hört man auch aus beiden Kurven dumpfe, rassistische Chöre.

Die Ermittlungen der Polizei gehen schnell voran. 15 Personen wurden identifiziert, die Aufkleber mit Anne Franks lächelndem Gesicht an die Stadionwände hefteten. Zwei Minderjährige sind dabei, einer ist 13. Schwierig war die Suche nicht: Seit einigen Jahren filmen Dutzende Videokameras jede Bewegung im Stadion, vor allem in den Kurven. Dass es so viele sind, dafür sorgte Franco Gabrielli, der frühere Präfekt von Rom, heute Chef der italienischen Staatspolizei. Und so tönen seit einigen Jahren auch Chöre gegen Gabrielli durchs Stadion. Zurzeit haben 50 "Unbeugsame" Stadionverbot. Die Gruppe ließ ausrichten, sie verstehe die Aufregung nicht: Spott sei doch legal.

© SZ vom 26.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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