Italien:Römische Frage

Lesezeit: 4 min

Bald wird es in dem Land wieder Wahlen geben. Sie dürften zu einem Referendum für oder wider die Europäische Union werden, für oder wider den Euro.

Von Oliver Meiler

Ein kleiner Zeitgewinn, mehr ist es nicht, eine Atempause. Zwei Monate werden es mindestens sein, vielleicht drei oder vier. Dann werden die Italiener in einer großen, geradezu metaphysischen Machtprobe über ihre Zukunft entscheiden. Und über jene Europas gleich ein bisschen mit. Viel deutet darauf hin, dass die Sorge, die sich das Ausland und die Europäer im Besonderen machen, einen Triumph der italienischen Populisten erst recht befördert. Die kurze Pause verdankt man Carlo Cottarelli, dem designierten Premierminister. Die Regierung des Finanzexperten ist, wie es eine Zeitung nennt, eine "Totgeburt". Ein tolles Kabinett zwar, wie die mutmaßliche Zusammensetzung zeigt, mit vielen hoch geschätzten und parteilosen Experten auf ihrem Gebiet. Aber eben nur ein Pfiff in der Geschichte der Republik. Am Dienstagabend wurde erwartet, dass Cottarelli in den kommenden Tagen im Parlament eine Regierungsrede halten wird, wahrscheinlich knapp und nüchtern, wie das seine Art ist, und dann völlig aussichtslos um Vertrauen bitten wird. Kolportiert wurde am Abend zwischenzeitlich, Cottarelli werde auf die Bildung der Übergangsregierung ganz verzichten, was Neuwahlen am 29. Juli ermöglichen würde. In jedem Fall hat er Präsident Sergio Mattarella um mehr Zeit gebeten. Cottarelli ist populär, quer durch die Parteien. Es ist noch nicht lange her, da zitierten die Cinque Stelle aus seinen Sparprinzipien, als wären es Fixsterne. Silvio Berlusconi hatte Cottarelli gar als Spitzenkandidaten für seine bürgerliche Partei Forza Italia in die Wahlen schicken wollen, weil er sich vom guten Klang seines Namens ein besseres Image für sich selbst versprach. Und die Sozialdemokraten hatten ihn ja erst zu dem gemacht, was er heute ist, als sie ihn vor fünf Jahren zu ihrem Kommissar für die Kontrolle der Staatsausgaben beriefen: eine moralische Instanz, unbestechlich und pragmatisch.

"Nie mehr Sklaven", tönt der Chef der Lega gern und fügt hinzu: "von Berlin"

Nun aber wird Cottarelli in einem Spiel zerrieben, das viel größer ist als er. Außer den Parlamentariern des Partito Democratico, die sich enthalten werden, wollen alle bedeutenden Parteien gegen ihn stimmen, weil sie damit Neuwahlen erzwingen können. Sein Mandat wird Cottarelli gleich wieder niederlegen müssen und das Land dann als dienstfertiger Geschäftsführer ohne politische Gestaltungskraft bis zu den nächsten Wahlen führen. Nach der Auflösung der Kammern dürften die Wahlen in drei, vier Monaten stattfinden, kurz vor oder nach den Sommerferien. Vielleicht werden sich die Parteien darauf einigen, dass es wenig Sinn hat, eine Wahlkampagne "sotto l' ombrellone" zu machen, unter dem Sonnenschirm, wenn die Städte leer und die Strände voll sind. Es könnte darum September oder Oktober werden. Der Showdown aber läuft bereits. Die Trennlinien waren schon lange nicht mehr so klar wie diesmal, wahrscheinlich seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Die Wahlen könnten zu einem Referendum für oder wider die Europäische Union werden, für oder wider den Euro.

Auf der einen Seite stehen die selbsterklärten Anwälte des Volkes, die rechtsnationale Lega und die ideologisch heterogenen Fünf Sterne. Obschon sie sehr unterschiedlich ticken, nennt man beide der Einfachheit halber Populisten - was ihnen aber gar nicht missfällt: Im Begriff stecke schließlich "popolo", das italienische Wort für Volk. Und sie verbreiten beide ein Credo: Wir, das Volk, lassen uns nicht mehr von in- und ausländischen Eliten bestimmen, von Eurokraten und Banken, von Ratingagenturen und Fondsmanagern. "Nie mehr Sklaven", sagt etwa Matteo Salvini, der Chef der Lega, manchmal fügt er noch an: "von Berlin".

Beide Parteien sind offen eurokritisch, blieben aber bewusst vage, was einen Austritt Italiens aus dem Euro betrifft. Mal ja, mal nein, mal vielleicht. Luigi Di Maio, der "Capo politico" der Cinque Stelle, hat seine Position zum Euro schon so oft geändert, dass einem der Kopf dreht. Salvini ist vorsichtiger. Das liegt daran, dass viele seiner Wähler, Unternehmer im Nordosten des Landes, einen Austritt für halsbrecherisch halten, schädlich fürs Geschäft. Die Angst vor einem Wertverlust der Ersparnisse zieht sich durch die gesamte Bevölkerung. Das zeigen die Umfragen. Mit einiger Spannung wird deshalb erwartet, wie sich die Populisten im Showdown positionieren: Sagen sie ganz klar, dass sie raus wollen?

Die andere Seite, die europafreundliche, wird die Populisten mit Macht zu einer klaren Stellungnahme zwingen wollen. Diese totale Polarisierung und Reduzierung auf eine Frage ist für den apathischen Partito Democratico und wahrscheinlich auch für die tief gefallene Forza Italia die einzige Chance, schnell wieder relevant zu werden. Mit Profil und Verve. Es fehlt der italienischen Linken zwar eine Persönlichkeit, die den Erfolg des Franzosen Emmanuel Macron imitieren könnte: Der hat den Front National, den man schon vor den Toren der Macht wähnte, mit einer europäischen Agenda herausgefordert, und er hat gewonnen. Den in Italien so genannten "alten Parteien" im Zentrum bietet sich die unverhoffte Chance, die Ungereimtheiten im Programm von Lega und Cinque Stelle bloßzustellen. Am besten wohl mit Wirtschaftszahlen.

Silvio Berlusconi weiß nicht so recht, auf wessen Seite er sich schlagen soll

Silvio Berlusconi scheint noch nicht genau zu wissen, auf welcher Seite er mitspielen soll. Hängt er sich an Salvini, seinen traditionellen Partner im konservativen Lager, könnte er allenfalls als Junior in dessen Regierung mittun - so das Rechtsbündnis denn eine Parlamentsmehrheit gewinnt. Doch was ist, wenn Salvini ihn fallenlässt und sich fest an die Cinque Stelle bindet? Dann böte sich Berlusconi wenigstens die Gelegenheit, auf der Seite der Sozialdemokraten für ein europafreundliches Italien zu kämpfen. In diesem Zusammenhang fällt zuweilen schon der Begriff eines "republikanischen Damms". Das Bild passt ganz gut.

In Italien sind gerade etliche Gewissheiten in Gefahr, darunter auch vermeintlich unverhandelbare, die in der republikanischen Verfassung festgeschrieben stehen. Zum Beispiel die Rolle des Staatspräsidenten. Seit Sergio Mattarella den Populisten einen Ministerwunsch ausgeschlagen hat, wie das sein Recht ist, wird er von Schimpftiraden überzogen, im Netz auch von Todesdrohungen. Man wirft ihm Hochverrat vor, Betrug am Volk. Cinque Stelle und Lega haben für den 2. Juni, den italienischen Nationalfeiertag, Kundgebungen angekündigt. Immerhin teilte die Fünf-Sterne-Bewegung am Abend mit, sie wolle kein Amtsenthebungsverfahren mehr anstrengen, weil die Lega da nicht mitmache. Aus dem Norden hört man aber, dass einige Bürgermeister der Lega das Foto des Präsidenten von ihren Bürowänden abmontiert haben, andere setzten die Nationalfahne auf Halbmast, noch andere sammeln die Wahlausweise der Bürger ein, um sie in Bündeln nach Rom zu schicken, in den Quirinalspalast.

Es gibt auch Initiativen für Mattarella. Sie sind etwas weniger laut, aber ebenfalls zahlreich. In den sozialen Medien läuft eine davon unter dem Hashtag #IoStoConMattarella - #IchStehZuMattarella. Auch dieses Lager will auf die Straße, am 1. Juni, angeführt von den Sozialdemokraten. Ein erster Stimmungstest.

© SZ vom 30.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: