Italien:Regieren in Schildkrötenformation

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Nach fünf Monaten steht seine Führung der Cinque Stelle zur Disposition: Mancherorts verbrennen erboste Bürger Bilder von Luigi Di Maio. (Foto: Giulio Lapone/AFP)

Vize-Premier Luigi Di Maio bricht serienweise Versprechen und Prinzipien seiner Fünf-Sterne-Bewegung. Nun begehren Wähler und Gewählte gegen seine Führung auf.

Von Oliver Meiler, Rom

Wenn Politiker zur eigenen Verteidigung altrömische Heeresformationen beschwören, dann muss schon einiges schieflaufen. Luigi Di Maio, der "Capo politico" der italienischen Regierungspartei Cinque Stelle, sieht seine Bewegung gerade dramatisch bedrängt: "Wir sind unter Beschuss", sagte der junge Vizepremier und Arbeitsminister, meinte aber wohl vor allem sich selbst. "Wir müssen jetzt kompakt sein, sehr kompakt, verschmelzen müssen wir, wie in der römischen Schildkrötenformation." Die Metapher der "testuggine romana" ist suggestiv, aber passt sie auch?

Die Kehrtwende beim Pipeline-Projekt in Apulien war vielleicht eine Drehung zu viel

Zu den Zeiten des Feldherrn und Diktators Caesar kam es vor, dass die Heeresführer den Legionären in der ersten Reihe auftrugen, ihre rechteckigen Schilde vor sich zu tragen, die dahinter hielten sie sich über den Kopf. Von vorne sah das kompakt aus, wie bei einer Schildkröte eben. Die Flanken aber konnten offen sein. Doch in diesem Fall sind die Flanken nicht einmal das größte Problem. Gefahr erwächst Di Maio nicht von außen, obschon er immer gern "dunkle Mächte" verantwortlich macht für alle Missgeschicke: Sie kommt aus dem Innern der Partei. Vielleicht passt das Bild des trojanischen Pferdes besser. Nach nur fünf Monaten an der Regierung steht Di Maios Führung schon zur Diskussion, plötzlich und vehement, bei der Basis wie bei den Wortführern des orthodoxen, puristischen Parteiflügels. Viele Wähler und Gewählte der Fünf Sterne ertrugen es schon nicht, dass sich Di Maio mit der rechtsextremen Lega von Matteo Salvini alliiert hat. Nun aber, da dieser Salvini der gemeinsamen Regierung in vielen Belangen mit Wucht den Stempel aufsetzt, bleibt von alten Maximen und Idealen der Cinque Stelle nur noch wenig übrig. Man fühlt sich betrogen, verraten gar.

Salvini hat Di Maio übermannt, das zeigt sich auch in den Umfragen. Di Maio trägt alles mit, was Salvini vorantreibt: dessen zynische Immigrationspolitik, den Straferlass für Steuerbetrüger, die Gnade für Bausünder. Das Hohelied auf Ehrlichkeit und Moral klingt ziemlich hohl. Nun vollzog er sogar eine totale Kehrtwende bei einem großen Infrastrukturprojekt in Apulien. In Melendugno bei Lecce ist die Enttäuschung so groß, dass sie Fahnen der Cinque Stelle und Fotos von Parlamentariern verbrennen.

In der kleinen Küstenstadt soll dereinst die "Trans Adriatic Pipeline" italienischen Boden erreichen, nachdem die Gasleitung sechs Länder durchquert hat, die Italiener nennen sie abgekürzt Tap. Zehn Milliarden Kubikmeter aserbaidschanisches Erdgas wird die Tap dann einmal nach Europa pumpen und die europäische Abhängigkeit von russischem Gas verringern. Ein strategisches Projekt von geopolitischer Relevanz. Gebaut wird die Pipeline von Privaten, ein großer Teil ist fertig.

Doch im schönen apulischen Salento mit seinen prächtigen, jahrhundertealten Olivenbäumen wehren sich Bürgerkomitees schon seit vielen Jahren gegen den Bau. Es heißt, die Tap verheere die Landschaft, belaste die Gesundheit, niemand brauche sie: Sie diene nur den Ölmultis. Der apulische Ableger der Cinque Stelle lebte immer gut von der kämpferischen Energie der "No Tap", und das ist kein Einzelfall. Überall in Italien wuchs die Protestbewegung am Zorn engagierter Bürgerkomitees. Sie machte sich ihre Umweltthemen zu eigen. Aus diesen Komitees rekrutierte die Partei auch einen Teil ihres Politpersonals. So entstand der etwas trügerische Eindruck, die Fünf Sterne seien eine Ökopartei, grün mit linken Einschlägen.

Vor den jüngsten Parlamentswahlen versprachen die Cinque Stelle unter anderem, sie würden die Tap sofort stoppen, wenn sie an die Macht kämen. Zwei Wochen, mehr brauchten sie nicht. Und aus dem großen Stahlwerk Ilva, dieser Pestschleuder im ebenfalls apulischen Taranto, würden sie einen Park machen, grün und kinderfreundlich. Wer sich dagegen auflehne, sagte damals Beppe Grillo, Gründer und Guru der Partei, werde es mit dem "Heer der Cinque Stelle" zu tun bekommen. Der Wahlerfolg war durchschlagend: Von 62 Parlamentariern, die Apulien nach Rom entsandte, gehören nun 42 den Cinque Stelle an.

Salvini sieht die Probleme des Partners entspannt. Er kann durch sie nur gewinnen

Doch Regieren ist etwas komplizierter als Protestieren. Die exzessiven Verheißungen der Populisten verpuffen jetzt in Serie. Ilva wird nun doch weitergeführt, ohne Gegenwehr. Die Tap stoppt man auch nicht, weil ein Vertragsbruch den Staat angeblich teuer zu stehen käme. "Strafen für mindestens 20 Milliarden Euro wären fällig", behauptet Di Maio. Er habe monatelang die Akten studiert, und es sei nur richtig, dass er das Volk nicht anlüge. Nun, diese Akten hätte man ja schon früher studieren können.

Im Piemont wartet schon der nächste Realitätscheck, vielleicht der entscheidende. Der Kampf gegen die sogenannte Tav, die Schnellzugverbindung zwischen Turin und Lyon samt 57 Kilometer Basistunnel, ist ein historisches Schlachtross der Cinque Stelle - ein ideologischer Anker. Di Maio kann es sich eigentlich gar nicht leisten, nach dem Volk des "No Tap" auch noch jenes der "No Tav" zu enttäuschen: Die Glaubwürdigkeit wäre ganz dahin. Die Frage ist nur, ob Italien sich aus dem internationalen, von Frankreich und der Europäischen Union mitfinanzierten und bereits weit gediehenen Großprojekt überhaupt zurückziehen kann. Eher nicht, das würde auch etliche Milliarden kosten.

Salvini schaut der schnellen Entzauberung des Bündnispartners gelassen zu, er kann nur gewinnen. Jede Kapriole Di Maios mehrt Salvinis Gunst beim Volk. Seine Linie kennt jeder. Di Maios Kurs dagegen ist so kurvig, dass man sich bei den Cinque Stelle fragt, ob der junge, mittlerweile recht selbstherrlich agierende "Capo politico" nicht gerade die Seele der Bewegung verkauft.

© SZ vom 31.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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