Italien:Reform oder Rente

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Sehr wahrscheinlich eine "Ja"-Stimme: Renzi nimmt am von ihm angestoßenen Verfassungsreferendum teil. (Foto: Leonardo Bianchi/Reuters)

Das Land stimmt über eine neue Verfassung ab, welche die Macht des Senats beschneiden würde. Es ist auch eine Abstimmung über Premier Renzis Zukunft.

Von Oliver Meiler, Rom

Nach einer langen Kampagne waren am Sonntag 47 Millionen Italiener aufgefordert, über eine weitreichende Verfassungsreform abzustimmen. Da sie dazu bis 23 Uhr Zeit hatten, wurden erste Ergebnisse nicht vor Mitternacht erwartet. Um die Mittagszeit lag die Wahlbeteiligung bei 20 Prozent. Bis zuletzt lieferten sich beide Lager, Befürworter und Gegner von Matteo Renzis Reform, ein gehässiges Duell. Man bezichtigte sich, die gesetzlich festgelegte Wahlkampfruhe gebrochen zu haben, die für den Vortag eines Referendums gilt. Aus den Kommentaren der großen Zeitungen schien vor allem die Sorge durch, dass das Land nach der harten Kampagne erst wieder zur Einheit zurückfinden müsse - unabhängig davon, wer gewinne.

Die Gegner der Reform eint nur eines: Ihr Scheitern würde helfen, Matteo Renzi zu stürzen

Im Zentrum der Reform, die das italienische Parlament im vergangenen Frühjahr nach zweijähriger Debatte und insgesamt sechs Lesungen gebilligt hat, steht eine Neuordnung des italienischen Parlamentsbetriebs: Demnach soll der Senat, die kleinere Kammer, neu als Regionalvertretung nur noch über einzelne Themenbereiche befinden können und verlöre das Recht, Regierungen das Vertrauen zu entziehen. Die Bedeutung der Abgeordnetenkammer würde entsprechend steigen. Mit der Überholung des "Bicameralismo perfetto", der seit 1947 beiden Kammern die genau gleichen Kompetenzen einräumt und oftmals ein langes Hin und Her verursacht, soll der Prozess der Gesetzgebung vereinfacht und verschlankt werden. Außerdem soll die Anzahl der Senatoren von bisher 320 auf 100 reduziert werden. Gewählt würden sie von den Regionalparlamenten, erhielten aber für ihr Zweitmandat in Rom kein zusätzliches Salär.

Die gesamte Opposition stemmte sich gegen die Reform: von der extremen Linken bis zu Silvio Berlusconis Forza Italia, von Beppe Grillos Cinque Stelle, Matteo Salvinis Lega Nord bis zu den postfaschistischen Fratelli d' Italia - jeweils aus unterschiedlichen Motiven. Gemein war ihnen, dass sie sich ausrechneten, Renzi mit einem Nein stürzen zu können. Der Premier hatte zu Beginn der Kampagne, als die Umfragen noch einen klaren Sieg vorausgesagt hatten, sein persönliches politisches Schicksal mit dem Ausgang des Referendums verbunden: Sollte er verlieren, sagte Renzi, würde er zurücktreten. Später scherzte er oft, er werde dann mit Popcorn vor dem Fernseher sitzen und sich die Talkshows anschauen, in denen sich seine disparaten Gegner über Reformen stritten.

Widerstand erwuchs Renzi außerdem aus einem Komitee von Verfassungsrechtlern und Intellektuellen, die vor einem Abdriften in eine Oligarchie warnten. Umstritten war nicht so sehr die Verfassungsrevision an sich, sondern deren Kombination mit einem neuen Wahlgesetz, das der siegreichen Partei eine Sitzprämie zuspricht, damit sie stabil regieren kann. In Brüssel und an den internationalen Finanzmärkten schaute man mit einiger Anspannung nach Italien: Eine allfällige Niederlage Renzis, so die Sorge, könnte Italiens Reformelan der vergangenen Jahre stoppen. In Matteo Renzi verlöre man überdies auch einen verlässlichen Alliierten und überzeugten Europäer. Was nach ihm käme, ist völlig ungewiss.

© SZ vom 05.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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