Italien:Lieber doch nicht

Lesezeit: 2 min

Die Cinque Stelle um Beppe Grillo fühlen sich in der Opposition wohler. (Foto: AP)

Ein neues Wahlrecht, das ihr eine Regierungsbeteiligung unmöglich macht, kein Olympia: Italiens Protestpartei Cinque Stelle gestaltet ungern.

Von Oliver Meiler, Rom

Bei ihrem Ringen um neue demokratische Spielregeln erleben die Italiener gerade eine besonders erstaunliche Episode. Sie dreht sich um das Wahlgesetz für die Bestellung des Parlaments - und um einen Coup der Protestpartei Cinque Stelle, von dem noch nicht klar ist, ob ihn die Fünf Sterne auch wirklich durchdacht haben.

Zur Vorgeschichte: Italien hat seit vergangenem Juli ein neues Wahlgesetz, das vom Parlament verabschiedet und vom Präsidenten unterzeichnet wurde: das sogenannte "Italicum". Es kam noch nie zum Einsatz, hat aber viele Gegner. Im Kern geht es darum, die wählerstärkste Partei mit einer Siegerprämie auszustatten, also zusätzlichen Sitzen, damit sie stabil regieren kann. Erreicht eine Partei bereits im ersten Wahlgang mindestens 40 Prozent, gibt es keinen zweiten; im anderen Fall machen die beiden bestplatzierten Parteien in einer Stichwahl den Bonus untereinander aus. Gewollt hat den neuen Modus der sozialdemokratische Partito Democratico von Premier Matteo Renzi. Umstritten ist er vor allem deshalb, weil er nach Ansicht der Kritiker die Exekutive übermäßig stärkt.

Würde morgen nach diesem System gewählt, käme es wohl zu einer Stichwahl zwischen dem Partito Democratico und den Cinque Stelle - mit offenem Ausgang. Für die Cinque Stelle, die sich aus Überzeugung mit keiner anderen Partei verbinden, ist der Modus mit der Prämie also vielleicht die einzige Chance, um an die Macht zu kommen. Nun aber hat die Partei des Komikers Beppe Grillo gefordert, das "Italicum" gehöre wieder abgeschafft, weil es antidemokratisch und verfassungswidrig sei. Man solle es durch ein reines Verhältniswahlrecht ersetzen. Italien, muss man dazu wissen, hat sein Parlament schon während der Ersten Republik (1948-1993) nach dem reinen Proporz gewählt. Es waren die Jahre der "Partitocrazia", Regierungen überlebten meist nur acht, neun Monate. Dass prominente Christdemokraten aus jenen Zeiten den Vorstoß besonders laut bejubeln, verwundert nicht.

Den politischen Kommentatoren in den großen italienischen Zeitungen kommt es so vor, als scheute die Protestbewegung in Wahrheit die Regierungsverantwortung, als wollte sie lieber in der Opposition bleiben. Vorerst jedenfalls, denn vieles liegt im Argen. Der Testfall in Rom, wo die Cinque Stelle in Virginia Raggi die Bürgermeisterin stellen, entwickelt sich mehr und mehr zum Reinfall: Alles steht still, das Land schaut ernüchtert zu. Am Mittwoch hätte Raggi sich mit dem Präsidenten des italienischen Olympiakomitees treffen sollen, um ihm nach wochenlangem Hin-und-her mitzuteilen, dass sie Roms Bewerbung für die Austragung der Sommerspiele 2024 ablehne - trotz Milliarden für die städtische Infrastruktur, trotz Schaffung vieler Jobs. Das Treffen ließ sie platzen und verkündete ihr Nein auf einer Pressekonferenz.

Renzi kommt das Chaos bei den Cinque Stelle gelegen. Er nahm den Vorschlag, das Wahlgesetz zu revidieren, dankend auf. Im Parlament wird nun wieder neu darüber debattiert. Dem Premier bietet sich die unverhoffte Möglichkeit, mit kleinen Nachbesserungen Kritiker im eigenen Lager zu besänftigen. Sie sollen ihn dafür dann unterstützen, wenn in zwei Monaten die Verfassungsreform vor das Volk kommt - Renzis großer Testfall.

© SZ vom 22.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: