Italien:Kopfstoß vom Clanchef

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Roberto Spada, zweiter von rechts, wird von der italienischen Polizei festgenommen. Der Spada-Klan ist berüchtigt für seine Gewalttätigkeit. (Foto: Massimo Percossi/AP)

In Ostia fühlen sich Mafia-Mitglieder so sicher, dass sie vor laufender Kamera Journalisten schlagen.

Von Oliver Meiler, Rom

Ostia im Winter. Der Himmel ist sturmschwarz, erste Blitze am Horizont, gleich wird es regnen. Die Palmen an der Uferpromenade des "Mare di Roma", wie die Römer ihren Hausstrand nennen, haben sie in grünes Plastik gehüllt, um sie zu schützen. Im Winter ist das schmucklose, mit viel Beton verbaute Ostia noch trauriger als im Sommer. Wie weggepackt, stillgelegt. Ausgerechnet in dieser Phase, da nur die vergilbten Länderfahnen im Wind an Sommer und Ferien erinnern, an Strand und Party, gibt Ostia zu reden. Überall im Land. Wegen einer brutalen Bildsequenz, die alle italienischen Fernsehsender gezeigt haben - unzensiert, in der Tagesschau.

Man sieht darin einen Fernsehjournalisten von Rai Due, der dem Betreiber einer Boxschule von Ostia politische Fragen stellt, ganz ruhig. Plötzlich verliert der Befragte die Kontrolle. Er versetzt dem Reporter einen Kopfstoß mitten ins Gesicht, mit aller Wucht, bricht ihm dabei die Nase, zieht einen Schlagstock aus dem Ärmel, prügelt auf den Journalisten ein, dann auf den Kameramann. Er war sich bewusst, dass die Kamera lief. Das kümmerte ihn nicht. Vielleicht spornte es ihn erst richtig an. Der Kopfstoß war eine Machtdemonstration.

Der Schläger heißt Roberto Spada. Sein Familienname ist stadtbekannt. Roberto ist der Bruder von Carmine Spada alias "Romoletto", kleiner Romulus, dem inhaftierten Boss des gleichnamigen Clans. Geld machen die Spadas mit der Besetzung und Vergabe von Sozialwohnungen, die eigentlich der Stadt gehören, mit Drogenhandel, mit Erpressung und mit der Bewirtschaftung von Strandbädern. Neu ist das nicht. Die Spadas teilen sich die Herrschaft über Ostia seit vielen Jahren mit den Familien Fasciani und Triassi. Im Moment gibt es offenbar genug Business für alle Clans, sie bekämpfen sich nicht. Der Staat kontrolliert Ostia höchstens zum Teil, obschon es nur dreißig Kilometer entfernt ist vom Zentrum der Macht.

Medien nennen die Partei Casa Pound "Faschisten des dritten Jahrtausends"

Die Crew von Rai Due fuhr nach Ostia, um Roberto Spada nach seinen politischen Vorlieben zu befragen. Am vergangenen Sonntag hatte Ostia gewählt. Es war keine gewöhnliche Wahl. Der Küstenort mit seinen 230 000 Einwohnern gehört administrativ zu Rom, hat aber einen eigenen Bezirksrat und einen Bezirkspräsidenten, einen sogenannten "Mini-Bürgermeister". Vor zwei Jahren wurde der Bezirksrat von Ostia aufgelöst, weil ihr Chef, ein Linker, Verbindungen zur Mafia gehabt haben soll. Mittlerweile wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt. Ein Sonderkommissar der Regierung übernahm, dessen Mandat läuft nun ab.

Im ersten Durchgang gewannen die Rechten und die Protestpartei Cinque Stelle am meisten Stimmen. Für Aufsehen aber sorgte vor allem das Resultat der kleinen neofaschistischen Partei Casa Pound, die Medien nennen sie auch "Faschisten des dritten Jahrtausends". Aus dem Nichts brachten sie es auf neun Prozent. Im Viertel der Spadas, in "Nuova Ostia", schafften sie sogar 18 Prozent. Roberto Spada hatte auf Facebook zur Wahl der Neofaschisten aufgerufen und dann dafür gesorgt, dass seine Leute auch wählen gingen: Männer des Clans sollen vor den Wahllokalen Pikett gestanden haben. Hört man.

Doch offen reden mag heute niemand an der Via Domenico Baffigo in "Nuova Ostia", einer langen Häuserzeile mit heruntergekommenen Sozialbauten aus Backsteinen. Nur einige Hundert Meter von der Via Baffigo entfernt, in einem schlecht gepflegten Park, steht das Denkmal für Pier Paolo Pasolini, den großen Regisseur und Intellektuellen, der 1975 in Ostia umgebracht wurde. Es ist mehr Polizei da als sonst, und Polizisten sind hier "sbirri", Bullen. So steht es an einer Hausmauer. An einer anderen hat jemand "Ostia è fascista" hingesprayt, "Ostia ist faschistisch".

Rai Due wollte also von Spada wissen, ob er denke, dass Casa Pound dank seiner Empfehlung so viele Stimmen geholt habe, wie die Zeitungen schrieben, und ob er selber denn finde, Casa Pound könne Ostia helfen. Spada antwortete, er lese keine Zeitungen und versetzte dem Reporter den Kopfstoß. Rund herum standen Leute des Clans und feuerten ihn an. Nun haben sie Spada verhaftet, wegen schwerer Körperverletzung "nach Manier der Mafia", wie es in der Anklageschrift heißt. Als die Carabinieri vorfuhren, gab es Pfiffe und Proteste - gegen die Carabinieri.

Politiker aller Lager geben sich entrüstet. Es sei "inakzeptabel", was da in Ostia passiere. Gemeint ist nicht nur der Kopfstoß, sondern die Botschaft dahinter, das Fanal für die Gesetzlosigkeit. Der abtretende Sonderkommissar ließ ausrichten, zwei Jahre Sonderverwaltung seien viel zu wenig: Zehn Jahre seien mindestens nötig, um Ostia in den Rechtsstaat zurückzuführen. Roberto Saviano, der Autor des Bestsellers "Gomorrha", sagt es so: "Ostia ist wie Corleone und Scampia." Wie die Zentren der sizilianischen und der neapolitanischen Mafia also. Mit dem Unterschied, dass Ostia Rom ist, X. Bezirk der Hauptstadt Italiens, dreißig Kilometer nur entfernt vom Innenministerium und den großen Polizeikasernen.

© SZ vom 11.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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