Italien:Endlich Führungskraft

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Durch den Brexit ist Italien ins entscheidende Trio der Europäischen Union vorgerückt. Premier Renzi lädt Merkel und Hollande ein, sich gemeinsam gegen die Sinnkrise zu stemmen.

Von Oliver Meiler, Rom

Zumindest die symbolische Ebene war reich befrachtet, als am späteren Montagnachmittag die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, der französische Staatspräsident François Hollande und Italiens Premier Matteo Renzi am Flughafen Capodichino von Neapel zusammentrafen, um sogleich mit dem Hubschrauber weiterzufliegen - raus nach Ventotene, auf eine kleine Insel im tyrrhenischen Meer mit einer großen historischen Bedeutung.

Da die Europäische Union seit dem Entscheid zum Brexit in einer mittleren Sinnkrise steckt, konnte es nicht schaden, dass sich die drei Hauptakteure aus den größten verbleibenden Mitgliedsländern mal kurz am Esprit orientierten, der während des Zweiten Weltkriegs die Autoren des "Manifests von Ventotene" inspiriert hatte. Altiero Spinelli und seine drei Mitschreiber waren als politische Häftlinge auf der Insel eingesperrt, verbannt und isoliert von Benito Mussolini. Das hinderte sie aber nicht daran, Europas Zukunft groß, frei und geeint zu denken - als "Vereinigte Staaten Europas". Spinelli schrieb seine Kapitel des Manifests auf Zigarettenpapier. Ventotene gilt seither als eine der Wiegen der europäischen Einigung.

Und gerade deshalb sieht Renzi den Ort als ideales Setting für den Dreiergipfel. Die Union müsse "von Grund auf" erneuert werden, sagte er im Vorfeld. Nach der Verneigung am Grab Spinellis gaben die drei Staats- und Regierungschefs auf dem Flugzeugträger Giuseppe Garibaldi einen Ausblick auf die Themen, die sie bei ihrem gemeinsamen Abendessen besprechen wollten: Fragen der Sicherheit und Verteidigung nach den Terroranschlägen auf europäischem Boden, Grenzschutz und Bekämpfung von Fluchtursachen, aber auch neue Ideen, um junge Menschen wieder für die europäische Idee zu begeistern. Alle drei Politiker kündigten zudem an, über den Zustand der europäischen Wirtschaft sprechen zu wollen. In einigen Mitgliedstaaten lahmt die Wirtschaft wieder, so auch in Italien und Frankreich.

Das Land hofft bei den Sparauflagen auf eine gewisse Großherzigkeit

Das Nullwachstum im vergangenen Quartal drückt schwer auf Renzis politische Agenda für den kommenden Herbst. Durch den Stillstand entgehen dem italienischen Staat Einnahmen von 6,5 Milliarden Euro, wie die Zeitung La Repubblica errechnet hat. Mit dem bereits eingeplanten Geld hätte der Premier einige populäre Maßnahmen finanzieren wollen, etwa Steuererleichterungen und Rentenaufbesserungen, um sein Tief in den Umfragen zu kompensieren. Nun muss er hoffen, dass Brüssel mehr Flexibilität bei den Defizitvorgaben zulässt, damit er dennoch ein akzeptables, einigermaßen generöses Budget für 2017 vorlegen kann. Der Garibaldi schien aber nicht der richtige Verhandlungsort für dieses Partikularinteresse zu sein. In Italien geht man davon aus, dass Renzi gegen Ende des Monats, wenn er Merkel in Maranello zum Zweiergipfel trifft, über Zahlen reden wird. Deutschland ist bekanntlich eher für eine Einhaltung rigider Sparauflagen, könnte aber im Falle Italiens versucht sein, eine gewisse Großherzigkeit zu zeigen - aus politischen Überlegungen. Würde der reformerische Alliierte Renzi nämlich bald stürzen, wäre das auch für Brüssel und Berlin ein Problem.

Drei Regierungschefs am Grab von Altiero Spinelli auf Ventotene: Angela Merkel, François Hollande und Matteo Renzi (von links). (Foto: Carlo Hermann/Reuters)

Ausgeschlossen ist dieses Scheitern des Premiers nicht. Im Spätherbst findet das Referendum über Renzis Verfassungsreform statt, an dessen Ausgang er sein politisches Schicksal gebunden hat. Er werde zurücktreten, wenn er verliere, hatte er vor einigen Monaten beteuert. Nun bereut er diese "Personalisierung": "Das war ein Fehler", sagte er am Wochenende ungewöhnlich selbstkritisch. Es gehe bei dieser Abstimmung ja nicht um ihn, sondern unter anderem darum, die hohen Ausgaben der italienischen Politik endlich zu kürzen. Als man ihn fragte, ob er denn nach einer Niederlage gar nicht mehr zurücktreten wolle, sagte er: "Ich habe gesagt, was ich machen würde", fügte dann aber an, "egal, wie es ausgeht, wir werden 2018 neu wählen." 2018 endet die laufende Legislatur. Offenbar rechnet sich Renzi aus, dass er im Fall einer Niederlage zwar zurücktreten würde, dann aber vom Staatspräsidenten umgehend einen neuen Regierungsauftrag erhielte. Im Parlament, so ist er überzeugt, würde er dann schon die nötige Mehrheit für ein neues Mandat erhalten.

Beim Gipfel von Ventotene rückten diese innenpolitischen Planspiele kurz in den Hintergrund. Italien, sagte Renzi, dürfe stolz sein, dass es jetzt fest zum Führungstrio der Union gehöre und nicht mehr belächelt werde wie unter Silvio Berlusconi. Nun, ihre Promotion verdanken die Italiener vor allem dem freiwilligen Ausscheiden der Briten. Doch das brauchte Renzi ja nicht hervorzuheben.

© SZ vom 23.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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