Italien:Der Hunger des Bürgermeisters

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Ignazio Marino, 60, hat sich dem Druck gebeugt. Der bisherige Bürgermeister von Rom wird für viele Skandale verantwortlich gemacht. (Foto: AFP)

Roms Stadtoberhaupt, ohnehin seit Langem in der Kritik, stürzt über falsche Restaurant-Quittungen.

Von Oliver Meiler, Rom

Spaghetti mit Langusten, Fasanenfilet, dazu teurer Weißwein - manchmal erschöpft sich eine politische Karriere in einer vermeintlichen Bagatelle, die sich wie eine Speisekarte liest. Roms linker Bürgermeister Ignazio Marino ist nach zweieinhalb bewegten Jahren im Amt nicht etwa über die Großaffäre Mafia Capitale gestürzt, dieses Kartell von Politikern, Beamten und Unternehmern, das sich mit öffentlichen Aufträgen bereichert hatte. Zurücktreten musste Marino nun, weil er gerne im Restaurant aß und dabei auch dann mit der Kreditkarte der Gemeinde bezahlte, wenn er gar nicht dienstlich einkehrte.

Der Fall flog auf, nachdem Marino vergangene Woche auf Druck der Opposition alle Ausgaben für Repräsentationszwecke offengelegt hatte - mit Quittungen und Nennung seiner Gäste. Die Kosten für Mittag- und Abendessen beliefen sich insgesamt auf etwa 20 000 Euro. Sein Akt der Transparenz sollte die Diskussionen beenden. Doch dann fragten die Zeitungen nach: in den Restaurants und bei den aufgelisteten Gästen. Einige der vermeintlich Geladenen dementierten, mit Marino gegessen zu haben, unter ihnen der vietnamesische Botschafter, ein Priester sowie ein Funktionär der Weltgesundheitsorganisation. Und zwei Restaurantbesitzer stritten ab, Marino in einem institutionellen Rahmen bewirtet zu haben. Einmal war er da mit seiner Frau, einmal mit Freunden.

Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft. Mindestens sieben Rechnungen sind womöglich betrügerisch belegt, für insgesamt rund tausend Euro. Gemessen an den Summen, die andere römische Politiker in den vergangenen Jahrzehnten veruntreut haben, mutet der Betrag unbedeutend an. Doch mehr als die Zahlen wiegt das politische Symbol: Marino hatte sich immer als Saubermann und "Moralisierer Roms" dargestellt. Am meisten Kredit bezog der international gefeierte frühere Transplantationschirurg dafür, dass er eben keine typische Politkarriere gemacht hatte. Doch die Römer verloren zusehends den Glauben daran, dass dieser Quereinsteiger ihre Stadt regieren kann. Marino musste sich auch anhören, er könne Rom gar nicht verstehen, da er in Genua geboren worden sei.

Der Rücktritt trifft die Hauptstadt in einem heiklen Moment. Ein Kommissar, ein Zwangsverwalter also, wird nun die Geschicke der Stadt bis zu Neuwahlen übernehmen müssen. Alle Umfragen deuten darauf hin, dass die Linke, sollte heute gewählt werden, verlieren würde. Die größten Chancen auf einen Wahlsieg werden der Protestpartei Movimento 5 Stelle eingeräumt. Italiens Premier Matteo Renzi, zu dessen Partito Democratico Marino zählt, dürfte versucht sein, den Termin möglichst lange aufzuschieben. Rom zu verlieren, wäre eine Schmach.

Rechtfertigen könnte Renzi die Verzögerung damit, dass im kommenden Dezember das päpstliche Jubiläumsjahr beginnt. In Rom werden Millionen Pilger erwartet. Die logistische Herausforderung ist immens, selbst für einen Kommissar mit breiten Befugnissen: Die Mängel im öffentlichen Verkehr sind eklatant; das Problem mit dem Abfall bleibt ungelöst; und für die Sicherheit der Besucher bedürfte es einer ganzen Serie von Vorkehrungen. Fiele nun auch noch eine Wahlkampagne ins Jubiläumsjahr, wie es die Opposition fordert, drohte das Chaos noch viel größer zu werden.

© SZ vom 09.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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