Italien:Das Wunder von Amatrice

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Ein Erdbeben verwüstete die Stadt. Jetzt ist ihr Fußballteam zurück - und mit ihm ein wenig Leichtigkeit.

Von Oliver Meiler

Meister der Herzen sind sie jetzt schon, Campioni del cuore. Auch wenn sie verlieren sollten. In Rieti, einer Provinzstadt in Mittelitalien, wird an diesem Wochenende ein Fußballspiel gegeben, das alle anderen Begegnungen, die in diesen Tagen auch noch stattfinden, fein überstrahlt. Ein Amateurspiel der Terza Categoria, 9. Liga, Gruppe A. Gastgeber ist der Tabellenführer mit dem schönen Namen "4 Strade del Sacro Cuore", in dessen Reihen etliche Veteranen mittun, die mal in höheren Ligen gespielt hatten. Als Gäste reisen die terremotati an, die Überlebenden des Erdbebens von Amatrice. Die ASD Amatrice ist Tabellenzweiter. Zwei Spieltage vor Saisonende trennt sie nur ein Punkt von der Spitze.

Amatrice kann also aus eigener Kraft Meister werden und aufsteigen, und das ist wohl die schönste Metapher von allen. Es wäre eine rimonta im besten Sinne, eine Aufholjagd gegen das Schicksal. Ein kleines Wunder auch, denn das Team sollte es eigentlich gar nicht mehr geben. Niemand mochte an Fußball denken, damals, im vorigen August, als das Ende der Welt über Amatrice gekommen war. Wie auch? Fußball war frivol, Fußball war vorher. Die beiden Plätze, auf denen der Verein früher trainiert und gespielt hatte, wurden als Erstes requiriert. Sie waren frei von Trümmern, flach und nutzbar. Auf dem oberen Platz steht nun das große Zelt mit der Mensa. Den unteren benannten sie um in "Campo Zero" und bauten bebensichere Behelfshäuser darauf. Die ASD besaß kein Spielfeld mehr.

Aus Solidarität zog die Nachbargemeinde Borbona ihren eigenen Verein aus dem Wettbewerb zurück und bot Amatrice an, auf dessen Rasen zu spielen. Aufbauhilfe gewissermaßen. Amatrices Trainer lud darauf seine Spieler zu einem Treffen ein, damit sie mal über alles reden konnten. "Es kamen nur zehn", erzählt Romeo Bucci der Zeitung La Repubblica, die dieser Geschichte eine ganze Seite widmet. Viele Spieler waren schon weggezogen, weil ihre Häuser eingestürzt waren. Andere lebten in Containern und waren nun ganz damit beschäftigt, ihren Alltag neu zu sortieren und ihre Trauer zu bewältigen.

Bucci sagte seinen Männern, er wolle fortan nur noch einmal in der Woche trainieren. Es gehe ihm ums Spielen, um die Ablenkung, um etwas Leichtigkeit. In die Meisterschaft stiegen sie ein, ohne geübt zu haben. Und gewannen. Spiel um Spiel. Das Siegen war wie ein Sog. Bald kehrten alle zurück - bis auf einen, den zweiten Torwart, 18 Jahre alt. Der hatte bei der Katastrophe seine Mutter verloren, die Großeltern, Tanten und Onkel. "Er kann nicht abschalten", sagt Bucci, "wir spielen auch für ihn. Wir gewinnen für Amatrice, für unsere Leute." So motiviert er sein Team von terremotati.

Vor dem ersten Spieltag hatte Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella den Vereinspräsidenten der ASD angerufen, um ihm Mut zu machen. Er lud die Mannschaft zum Saisonende in seinen Palast ein, nach Rom. Sie sollte spüren, dass man an sie denkt, da unten, in der 9. Liga, Gruppe A. Wenn nun die Herrschaften Tabellenführer tatsächlich ein heiliges Herz haben, wie es in ihrem Namen steht, dann fahren die Amatriciani bald als Meister nach Rom.

© SZ vom 18.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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