Italien:Buchhaltung gefordert

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Italiens Präsident Sergio Mattarella redet der rechtspopulistischen Regierung ins Gewissen. (Foto: Ints Kalnins/Reuters)

Dreimal so hoch wie mit der EU vereinbart ist die Neuverschuldung. Das provoziert Brüssel - und veranlasste den Präsidenten zu einem flammenden Appell.

Von Oliver Meiler, Rom

In marktschreierischen Zeiten sind moralische Appelle, wie sie Italiens Präsident zuweilen an die Politik richtet, vielleicht nicht das wirkungsvollste Mittel. Sie kommen in der Regel leise daher, möglichst unparteiisch, und sind getragen von institutioneller Gravitas. Doch Sergio Mattarella fühlte sich jetzt gedrängt, der populistischen Regierung ins Gewissen zu reden. In einer Ansprache erinnerte der Staatschef am Wochenende an Artikel 97 der Verfassung. Dort heißt es, die Regierung müsse dafür sorgen, dass der Haushalt ausgewogen bleibe und die staatlichen Schulden erträglich seien. "Eine ordentliche Buchhaltung", sagte Mattarella, "ist eine unverzichtbare Bedingung für soziale Sicherheit, vor allem für die Jungen und deren Zukunft."

Eine Selbverständlichkeit - doch für viele Italiener und die Regierung scheint dies keine besonders wertvolle Maxime zu sein. Das Kabinett aus Cinque Stelle und Lega hat vergangene Woche trotz dramatisch hoher Staatsschulden für das kommende Haushaltsjahr eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beschlossen. Das ist deutlich mehr als die 0,8 Prozent, die einst mit Brüssel ausgemacht worden waren. Manche Analysten halten die 2,4 Prozent deshalb gar für eine gezielte Provokation der euroskeptischen Parteien - als Vorstufe einer fundamentalen Infragestellung des Euro. Auch deshalb fühlte sich Mattarella wohl gezwungen, die Stimme zu erheben.

Vizepremier Matteo Salvini, Innenminister und Chef der rechten Lega, antwortete mit gewohnter Schärfe: "Der Präsident möge sich beruhigen, dieses Budget ist voller Ausgeglichenheit, Stolz und Mut." Nach Jahren, in denen Brüssel den Haushalt der Italiener bestimmt und damit die Schulden "zum Explodieren" gebracht habe, sei es Zeit für eine Wende. "Und sollte Brüssel sagen, dass ich das nicht tun darf, dann ist mir das egal." Er mache einfach weiter. Salvini neigt neuerdings zum "Ich", wenn ein "Wir" angebrachter wäre. Kürzlich sprach er von sich als "Presidente del Consiglio", als Ministerpräsident. Ein Freudscher Versprecher.

Der andere Vizepremier, Luigi Di Maio von den Fünf Sternen, gab sich nach dem Triumph der vergangenen Tage etwas bescheidener und leiser. Man wolle keine Konfrontation mit der EU. "Zu behaupten, wir suchten mit diesem Budget einen Vorwand, um mit Europa und dem Euro zu brechen, ist völliger Quatsch", sagte Di Maio.

Diesen Eindruck wollte auch jener Mann entkräften, der als großer Verlierer aus dem Ringen um die Dezimalstellen des italienischen Staatsdefizits hervorging und das viel kritisierte Budget nun in Europa vertreten muss: Wirtschafts- und Finanzminister Giovanni Tria. Der Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore sagte der parteilose Professor, er sei absolut einverstanden mit dem Appell des Staatspräsidenten: Das Defizit und die Schulden gehörten gesenkt. Man gebe sich aber jetzt ein bisschen mehr Zeit dafür, weil man zunächst das Wachstum unterstützen wolle. Für 2019 rechne die Regierung mit einem Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent. Gehe die Rechnung auf, werde man die Staatsschulden um ein Prozent verringern können. Im anderen Fall kürze man einfach die Ausgaben, es gebe dafür eine entsprechende Schutzklausel. Mit diesem Versprechen will Tria auch die Finanzmärkte beruhigen.

Die Defizitträume der Populisten haben auch die Opposition geweckt. Zum ersten Mal seit der Machtübernahme von Lega und Cinque Stelle hat der sozialdemokratische Partito Democratico gegen die Regierung protestiert. Auf der Piazza del Popolo in Rom fanden sich am Sonntag Zehntausende ein. Allerdings erlebt die Partei gerade eine Phase der inneren Zerrüttung. Ein Flügel würde gerne alles ändern: Namen, Führungspersonal, politische Linie. Die Entourage um den früheren Premier Matteo Renzi wiederum baut mit anderen Parteien an einer internationalen, europafreundlichen Allianz, der auch Emmanuel Macrons "République en marche" angehören soll. Und ein drittes Lager bedauert noch immer, dass sich ihre Partei nach der Wahlniederlage vom 4. März nicht mit den Cinque Stelle verbündet hat. Unter diesen Vorzeichen war es schon ein kleines Wunder, dass die Piazza del Popolo überhaupt voll wurde.

© SZ vom 01.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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