Italien:Brot und Fische

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lant mit mehr als 37 Milliarden Euro Neuverschuldung: Italiens Finanzminister Giovanni Tria. (Foto: Filippo Monteforte/AFP)

Italien macht nun doch mehr Schulden als vereinbart. Das Geld soll in einen "Haushalt des Volkes" fließen. Brüssel ist besorgt. Geht die EU zu hart gegen die römische Regierung vor, könnte das die Populisten stärken.

Von Oliver Meiler, Rom

Die Frist lief bis Mitternacht, wie ein Countdown, dramatisch unterlegt von Berichten letzter Zerwürfnisse und kleiner Hinterhältigkeiten. Doch am Ende schaffte es die populistische römische Regierung aus Cinque Stelle und Lega, ihren kontroversen Budgetentwurf für das kommende Jahr gerade noch rechtzeitig nach Brüssel zu schicken. Es gibt nun also ein Dokument, auf dem schwarz auf weiß steht, dass die Italiener trotz Mahnungen aller maßgeblichen Finanzinstitutionen und trotz Wirren an den Börsen 2019 ein Defizit von 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung anpeilen. Vereinbart war mal 0,8 Prozent, so hätten die hohen Staatsschulden etwas gekappt werden können.

Doch an alte Abmachungen mögen sich die Populisten nicht halten. Die budgetierte Neuverschuldung beläuft sich auf mehr als 37 Milliarden Euro. Mit diesem Geld, auf Pump also, soll der "Haushalt des Volkes" finanziert werden. So nennt ihn Luigi Di Maio, der Vizepremier und Chef der Fünf Sterne. Nachdem das Papier nach Brüssel übersandt worden war, sprach Di Maio gar von einem "neuen Gesellschaftsvertrag". Sein Kabinettskollege von der Lega, Matteo Salvini, räumte ein, dass man keine Wunder vollbringe, und bediente sich trotzdem metaphorisch bei Jesus' Speisung Tausender am See Genezareth: "Dieser Haushalt vermehrt nicht Brote und Fische", sagte er. Die Botschaft ans Volk aber war: Sehr viel fehlt nicht.

In Brüssel ist man besorgt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte am Dienstag, die EU-Kommission könne die Defizitabweichung Roms nicht akzeptieren, "weil uns sonst andere Länder bezichtigen würden, wir seien viel zu flexibel mit Italien". Totale Unflexibilität scheint aber auch nicht die beste Strategie zu sein: Sie würde die Propaganda der Populisten nähren. Brüssel hat bis Ende November Zeit für ein Urteil über den römischen Etat.

Umstritten ist das Paket deshalb, weil die Maßnahmen nur zu einem geringen Teil gedeckt sind. Das Angebot eines Straferlasses für Steuerhinterzieher, die ihr verstecktes Geld deklarieren, wird vielleicht einige Hundert Millionen Euro einbringen, steht jedoch ziemlich quer zum ethischen Credo der Fünf Sterne. Außerdem sind höhere Abgaben auf das Glücksspiel geplant, auch Banken und Versicherungen werden wohl stärker besteuert. 37 Milliarden Euro kommen so aber nie zusammen.

Das Bürgergeld soll sechs Millionen Italienern helfen, einen Job zu finden

Fast ein Drittel der neuen Mittel, nämlich 12,5 Milliarden, braucht es allein dafür, die ursprünglich für Januar geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer zu verhindern. So unbeliebt die gewesen wäre: Ihre Verhinderung macht niemanden froh, eher schon andere Pläne: Neun Milliarden Euro soll es in Italien für den "Reddito di cittadinanza" geben, das Bürgergeld. Die Fünf Sterne, die diesem Versprechen einen beträchtlichen Teil ihres Erfolgs bei den Wahlen verdankten, wollen so sechs Millionen Italienern helfen, einen Job zu finden oder eine faire Rente zu erhalten; Ausländer sollen ausgeschlossen bleiben. Der Bürgerlohn beträgt maximal 780 Euro im Monat. Es bekommt ihn nur, wer pro Woche acht Stunden Sozialdienste verrichtet, sich weiterbildet und eine Arbeitsstelle sucht. Zwei Jobangebote darf er ausschlagen, beim dritten erlischt das Anrecht.

Rätselhaft bleibt, wie Missbräuche verhindert werden können: Italiens Arbeitsämter sind personell heillos überfordert. Um die Lega zu beruhigen, die den Bürgerlohn für eine dumme Idee hält, versprach Di Maio, man werde dafür sorgen, dass die Staatshilfe nicht für Extravaganzen gebraucht werde: für Hotelübernachtungen, Wellness, Fitness, Glücksspiel - solche Sachen. Wer gegen die Regel verstoße, komme ins Gefängnis, sagte Di Maio.

Ein bisschen Geld fließt in Start-ups, ein bisschen in Infrastruktur

Rund sieben Milliarden kostet die erste kleine Reform der Rentenreform der Sozialdemokraten, der so genannten "Legge Fornero". Sie läuft unter dem Schlagwort "Quote 100": Ab kommendem Februar sollen Italiener, die dann 62 Jahre alt werden und 38 Jahre lang Beiträge einbezahlt haben, bereits in Pension gehen können. Betroffen wären ungefähr 400 000. Ziel Salvinis und Di Maios ist die totale Abschaffung der "Legge Fornero", doch das würde Dutzende Milliarden Euro kosten. Mit dem Rest der Neuverschuldung sollen unter anderem kleine Firmen steuerlich entlastet werden, was der Lega wichtig ist, die im Wahlkampf von einer "Flat Tax" von 15 Prozent für alle, Unternehmer und Bürger, schwadroniert hatte. Ein bisschen Geld fließt in Start-ups und innovative Industrien, ein bisschen in Infrastruktur.

Der Großteil aber wird einfach verteilt, ohne Gestaltungsanspruch und Zukunftssinn. Bis Silvester haben die Populisten Zeit, die Budgetposten zu verändern und darüber zu streiten, wer wie viel ausgeben darf für seine Geschenke ans Volk. Italienische Kommentatoren erinnert die selbst ernannte "Regierung des Wandels" an Kabinette der Democrazia Cristiana, aus der Zeit der Ersten Republik. Die achteten auch immer darauf, dass ihre Wahlklientel gut bedient war, mit Broten und Fischen.

© SZ vom 17.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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