Italien:Auf verlorenem Posten

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Wer ist hier der Chef? Ministerpräsident Giuseppe Conte (Mitte) wirbt immer wieder um Verständnis für Italien – doch sein Vize Luigi Di Maio (rechts) grätscht gern dazwischen. Selbst Europaminister und Euro-Skeptiker Paolo Savona (links) ist deswegen inzwischen besorgt. (Foto: Riccardo Antimiani/ANSA/AP/dpa)

In Italiens Kabinett sitzt auch ein Trio der Pragmatiker: Es sind Premier Conte, Finanzminister Tria und Außenminister Moavero. Doch sie werden übertönt von den populistischen Polterern Salvini und Di Maio.

Von Oliver Meiler, Rom

Ein verkrampftes Lächeln bekommt Giovanni Tria immer hin, nach jeder bewegten Sitzung in Rom, nach jedem einsamen Gipfel in Brüssel. Ein Umstandslächeln. Doch die Qual, die es ihm verursacht, vermag er nicht zu verbergen. Italiens Finanzminister, siebzig Jahre alt, war ein Leben lang Wirtschaftsprofessor. Er ist ein Mann der Zahlen und der Logik mit lederner Aktentasche, ein Pragmatiker. Nun muss er den wunderlichen Schuldenhaushalt der Populisten und deren riskanten, politisch motivierten Showdown mit der Europäischen Union mittragen.

"Ich bin besorgt", sagte Tria dieser Tage, es muss ihm rausgerutscht sein. Vernunft ist nämlich nicht die Währung, an der sich die Regierung von den Cinque Stelle und der Lega, in der er sitzt, messen lassen will. Sie möchte hart wirken, unbeirrt trotz aller Sturmzeichen von den Finanzmärkten, den steigenden Zinsen für alle Kredite, die kleinen wie die großen.

Tria ist einer von drei prominenten Persönlichkeiten im Kabinett, die seit Wochen im Hintergrund zu Mäßigung und Dialog drängen. Die anderen beiden sind Giuseppe Conte, Italiens Premier, und Enzo Moavero Milanesi, der Außenminister. Alle sind sie parteilos, Techniker also, im ständigen Balanceakt zwischen Loyalität und Vernunft. Letztere verliert bisher immer. Tria, Conte und Moavero werden gnadenlos übertönt von Matteo Salvini und Luigi Di Maio, den beiden Vizepremiers und Chefpolterern.

Es ist ein Paradoxon: Die Herrschaften, die Italien in Brüssel vertreten und dort um Verständnis für ihr Land werben, haben in Rom keine Macht. Und die, die in Rom die Macht haben, tauschen sich nie persönlich mit jenen europäischen Kreisen aus, die ihnen Briefe und Mahnungen schreiben. Mehr noch: Salvini und Di Maio schalten immer neue Eskalationsstufen, wie Raketen. Sie beschreiben die Brüsseler Kommissare mal als "Terroristen", mal als "Säufer". Das kommt bei ihren Wählern ganz gut an, vermiest aber jede Verhandlungsbasis in Europa. Nie in der Geschichte der EU war Italien so isoliert wie in diesen Tagen.

Zu den Gipfeln schicken die Polterer das Trio der Vernünftigen. Es versucht jeweils, die Lage zu entspannen und Italien aus der Isolation zu befreien. Außenminister Moavero ist ein Meister darin, eigentlich. Er war früher Richter am Europäischen Gerichtshof, dann politischer Berater in Brüssel und schließlich italienischer Europaminister zweier Regierungen, einer linken und einer technischen. In Brüssel kennt er jeden, und jeder kennt ihn. Moavero, so hört man, bemühe sich ständig um Harmonie, er beschwichtige verunglimpfte Partner und webe an Zerrissenem. Doch das Getöse von Salvini und Di Maio aus Rom übertönt alles.

Sie zocken weiter, scheinbar ohne Kompromissbereitschaft

Als Giovanni Tria im vergangenen Juni das große Ministerium für Wirtschaft und Finanzen an der römischen Via XX Settembre übernahm, hieß es, er werde wie ein Damm wirken gegen alle Absonderlichkeiten, die der Lega und den Cinque Stelle in den Sinn kommen könnten. Ein Austritt aus dem Euro? Tria werde Salvini und Di Maio schon zur Räson bringen, mit Zahlen und Logik. Bei seinen ersten Reisen nach Brüssel wurde er auch so empfangen: feierlich, als Garant. Tria versprach, dass die Regierung die Regeln schon nicht brechen werde, man sei sich bewusst, dass Italien hoch verschuldet sei, dass es sich keine neuen Schulden leisten könne. Ist ja klar. Buonsenso, sagen die Italiener, gesunder Menschenverstand.

Der Damm ist schnell gebrochen. Tria denkt offenbar ständig darüber nach, ob es nicht besser wäre, wenn er zurückträte. Aus Treue zu sich selbst. Dann aber lässt er sich jedes Mal überzeugen, dass sein Rücktritt die Märkte womöglich noch stärker beunruhigen würde, und das könnte dann schnell sehr problematisch werden für Italien. Er bleibt aus Patriotismus.

Noch besorgter als Tria ist mittlerweile ausgerechnet jener Kollege, an dessen Stelle er das große Ministerium erhalten hatte: Europaminister Paolo Savona, ebenfalls parteilos und 82 Jahre alt, galt als Finanzminister als untragbar, weil er einst mehr oder weniger offen über einen Austritt Italiens aus dem Euro sinniert hatte. Die Zeitung Corriere della Sera schreibt, Savona wähne die Regierung nun kurz vor dem Aus. Der Haushalt der Populisten? Savona beschreibt ihn als "unhaltbar". Wenn sich Italien in einigen Monaten im großen Stil Geld an den Märkten beschaffen müsse, um seine Schulden zu bedienen, sagt Savona, sei es vorbei. Er gesellt sich da eher überraschend zu den Vernünftigen.

Doch die Vorzeichen für ein mögliches Desaster sind unmissverständlich: Diese Woche wollte das Schatzministerium Staatsanleihen für 7,7 Milliarden Euro an die italienischen Kleinanleger bringen - mindestens. Eingesammelt hat es aber nur 2,2 Milliarden Euro. Das ist ein historischer Flop. Er spiegelt die wachsende Verunsicherung im italienischen Volk, diese Sorge, dass das Spiel der Populisten in einem Fiasko endet.

Noch aber zocken sie weiter, scheinbar ohne Kompromissbereitschaft. Unterdessen schicken sie Giuseppe Conte nach Brüssel. Der Premier soll an diesem Samstagabend mit Jean-Claude Juncker dinieren, dem Präsidenten der EU-Kommission, und dem noch einmal alle Haushaltspläne erklären. "Unsere Reformen", nennt er sie. Dass Conte das gelingt, ist unwahrscheinlich. Seine Regierung rebelliere nicht gegen die EU, sagte er vor seiner Abreise. Sie hoffe nur auf etwas mehr Zeit. Die EU möge doch bis zu den Europawahlen warten mit den Sanktionen gegen Italien, man sei dann "verantwortungsbewusst" und werde den Haushalt nachträglich korrigieren. Das ist ein kurioser, naiver Wunsch: Warum sollte die EU der offen europakritischen römischen Regierung ausgerechnet jetzt einen Gefallen tun - ohne Gegenleistung? Oder war das eine Einladung zur Verhandlung? Als Conte so redete, tönte Salvini schon: "Unsere Geduld ist aufgebraucht, keinen Millimeter werden wir weichen."

© SZ vom 24.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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