Italien:Allein am Mittelmeer

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Ein Alpino patrouilliert in Roms Zentrum, wo wegen der Terrorgefahr im Heiligen Jahr Hunderte zusätzliche Sicherheitskräfte aufpassen. (Foto: Angelo Carconi/dpa)

Premier Renzi hält sich bei der militärischen Allianz gegen den Terror deutlich zurück. Das kommt gut, denn das Land fühlt sich der Terrorgefahr aufgrund seiner Geografie besonders ausgesetzt.

Von Oliver Meiler, Rom

Manchmal reicht auch gekonntes Mienenspiel nicht aus, um eine Enttäuschung zu unterdrücken. Als Matteo Renzi zwei Wochen nach den Anschlägen von Paris Frankreichs Präsidenten besuchte, um ihm die solidarische Nähe der "Schwesternation" zu versichern, war schon klar, dass Italiens Premier nicht mehr mitbringen würde als eben nachbarschaftliches Mitgefühl. Keine Jets für Syrien, keine Soldaten für Mali. Im Angebot war höchstens eine Verstärkung des italienischen Engagements bei der Friedensmission im Libanon, um die Franzosen dort etwas zu entlasten.

François Hollande empfing Renzi deshalb mit der Eile des enttäuschten Bittstellers. Er umarmte ihn zwar herzlich auf der Vortreppe des Élysée, drehte sich auch kurz um zu den Fotografen, schob den Italiener dann aber rasch ins Palais und begleitete ihn nur wenig später wieder hinaus. Alle symbolische Schwere lag in der Kürze des Protokolls. Nach einer Stunde war Renzi schon wieder auf dem Heimweg.

Seither muss sich Rom anhören, es habe die kriegerischen Zeichen der Zeit nicht verstanden. Von allen großen Staaten Europas, heißt es, zeige Italien am wenigsten Entschlossenheit im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die Deutschen gehen viel weiter, die Briten auch. Den Spaniern sieht man nach, dass sie so kurz vor den Parlamentswahlen vom 20. Dezember keine schwierigen militärischen Entscheidungen fällen mögen.

Die Italiener stehen plötzlich alleine da - und wehren sich. Außenminister Paolo Gentiloni sagte diese Woche im Gespräch mit der Financial Times, er halte den Vorwurf, Italien unternehme zu wenig, für eine grundlose Behauptung. Er sprach von einer "urban legend", einem Mythos. Man sei bereits mit 6000 Soldaten an vielen Krisenherden aktiv: Irak, Afghanistan, Kosovo, Libanon. Und sollte es nötig werden, könne man ja über eine Aufstockung reden. Für mindestens ebenso notwendig halten die Italiener aber diplomatische Bemühungen, Initiativen mit Weitsicht. Sie sehen sich da als Wegweiser am Mittelmeer, an dieser Kreuzung der Kulturen. Renzi wendet viel Energie dafür auf, sein Land in die Rolle des großen Vermittlers zu drängen. Darum vermeidet er es auch beharrlich, von "Krieg" zu reden, wie das die Franzosen tun, die Amerikaner, die Briten. Das würde nicht zur Rolle passen.

In Rom finden in diesen Tagen die "Mediterranean Dialogues" statt, eine Konferenzreihe zu den Zukunftsperspektiven des Mittelmeers, die vom italienischen Außenministerium und dem Institut für Internationale Politik organisiert werden. Für Sonntag ist in Rom ein Treffen zu Libyen anberaumt. Teilnehmen werden da die Außenminister aller Länder mit ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat, dazu deren Kollegen aus Deutschland, Ägypten und der Türkei. Erwartet wird auch der neue Sondergesandte der UN für Libyen, der Deutsche Martin Kobler, von dem man sich erhofft, dass er die Libyer zur Bildung einer Einheitsregierung überreden kann. Für Januar ist dann ein Gipfel geplant, der möglichst alle Alliierten im Kampf gegen den IS versammeln soll. Wieder in Rom. Ziel ist es, die unterschiedlichen politischen Antriebe dieser Alliierten in einer gemeinsamen Strategie zu bündeln.

Die Terror-Propaganda droht, ihre schwarze Fahne werde über Rom und dem Vatikan wehen

Italien möchte mächtig Regie führen. Rom ist längst nicht mehr Caput Mundi, Hauptstadt der Welt. Aber vielleicht reicht es zur Caput Mediterranei. Den Italienern behagt es, wie Renzi ihr Land positioniert, zeigen Umfragen. Die Sorge, Italien könnte sich Terrorgefahren noch stärker aussetzen, wenn es an Luftschlägen gegen den IS teilnähme, ist groß. Regelmäßig drohen Propagandisten des Terrors, sie würden nicht eher ruhen, als ihre schwarze Fahne über Rom und dem Vatikan wehe. Die Landkarte lässt keine Zweifel, wie nah die Wirren an den südlichen Gestaden des Mittelmeers sind - vor allem in der einstigen Kolonie Libyen, wo der IS schnell wächst.

600 Kilometer liegen zwischen den Küsten Siziliens und Libyens; 600 Kilometer liegen auch zwischen Rom und Mailand. Kein Land in Westeuropa ist unmittelbarer exponiert als Italien, zumindest geografisch. Und das zählt auch psychologisch.

Ausnahmsweise weiß Renzi einen bedeutenden Teil der politischen Elite hinter sich. Die Vorgänger Romano Prodi und Mario Monti loben seine Vorsicht ausdrücklich. Sogar Silvio Berlusconi attestiert Renzi kluges Handeln. Als Gegenbeispiel dient er selber: Berlusconi muss sich den Vorwurf gefallen lassen, als Regierungschef Italien gleich zweimal in Kriege verwickelt zu haben, an denen die Italiener nicht teilnehmen wollten: 2003 gab er George W. Bushs Betteln nach, dem er zu gefallen suchte, und schickte Soldaten in den Irak; 2011 mochte er sich dem Franzosen Nicolas Sarkozy nicht widersetzen, als der zum schnellen Schlag gegen Muammar al-Gaddafi ansetzte und Libyen dann dem Chaos überließ. Die Folgen trafen Italien mit Wucht. Gaddafi war ein Diktator, ein Wahnsinniger vielleicht auch. Doch er hielt das vielstämmige Land einigermaßen zusammen, kontrollierte die Küsten, verwaltete die internationalen Geschäfte, auch die Ölgeschäfte. Das kam Italien und seinem Erdölkonzern Eni zupass. Nun wankt der libysche Staat, wenn er nicht schon gescheitert ist, und droht, in den Einflussbereich des selbsternannten Kalifen zu geraten. Wo, fragen die Italiener, werden die Terroristen wohl hingehen, wenn sie mit Bomben aus Syrien vertrieben werden?

Renzi warnt deshalb ständig davor, im kriegerischen Furor in Syrien dieselben Fehler zu begehen wie damals in Libyen. Er nennt es die Gefahr eines "Libia bis". Schier mantrahaft wiederholt er den Verweis, obschon die Situationen nur leidlich vergleichbar sind. "Libia bis" dient auch als Rechtfertigung für die militärische Zurückhaltung - vorerst jedenfalls.

© SZ vom 11.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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