Israel und Palästinenser:Die Idee der Zweistaatenlösung in der "Einstaatenrealität"

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Muriel Asseburg und Jan Busse über mögliche Lösungen des jahrzehntelangen Konflikts.

Von René Wildangel

Mit Büchern über den Nahen Osten kann man, auch auf Deutsch, ganze Bibliotheken füllen. Umso erstaunlicher, dass es hierzulande kaum eine sachliche Einführung auf aktuellem Stand gibt. Die legen jetzt Muriel Asseburg, Expertin an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), und Jan Busse, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Bundeswehr in München, vor. Gleich zu Beginn stellen die Autoren fest: Der israelisch-palästinensische Konflikt, früher als "Nahostkonflikt" im Zentrum der regionalen Geschehnisse und der medialen Aufmerksamkeit, ist längst nicht mehr der Schlüsselkonflikt, der die Zukunft der Region bestimmt. Für politische Mobilisierung taugt er jedoch noch immer. Auf nur 118 Seiten zeichnen die Autoren die klassischen Stationen des Konflikts und des mittlerweile historischen und erfolglosen "Friedensprozesses" nach, liefern aber auch eine aktuelle Standortbestimmung angesichts der dramatischen Veränderungen in der Region.

Die "Geschichte" kommt dabei im Vergleich zu den "Positionen und Perspektiven" etwas zu kurz; der Abriss der Zeit vor der Staatsgründung ist zu knapp, um die historische Vielschichtigkeit der Rivalität von Zionismus und arabischer Nationalbewegung zu verstehen. Dafür wird die nun bald fünfzig Jahre andauernde israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete seit 1967 differenziert und unter Berücksichtigung der verschiedenen Narrative dargestellt. Die palästinensische "Nakba" (Katastrophe) einerseits, der "Unabhängigkeitskrieg" Israels andererseits; "Schutzzaun" oder "Apartheitsmauer", die Begrifflichkeiten im Konflikt stehen für die jeweiligen Diskurse, die von den Autoren aufschlussreich analysiert werden. Weil in fünf Jahrzehnten Besatzung der israelische Staat unter Aufwendung hoher Ressourcen die Siedlungspolitik vorangetrieben und sich die Siedlungsbewegung zunehmend ideologisiert hat, sind die Aussichten auf eine Lösung der meisten Kernfragen im Konflikt gegen null gesunken. Dagegen macht das Kapitel zu den Friedensverhandlungen noch mal deutlich, dass das keineswegs an einem Mangel an durchaus praktikablen Lösungsvorschlägen auch für komplizierte Streitfragen wie den Status Jerusalems oder die Frage der palästinensischen Flüchtlinge liegt.

Ein Konförderationsmodell? Bisher nur akademisch diskutiert

Die Chancen für eine Umsetzung solcher Vorschläge bis hin zur arabischen Friedensinitiative von 2002 haben sich durch die "Folgen des Arabischen Frühlings", wie das gleichnamige Kapitel erklärt, weiter verschlechtert: In Bezug auf den blutigen Krieg in Syrien versucht die israelische Regierung vor allem ein Überschwappen der Gewalt zu verhindern und setzt gegenüber Iran und der Hisbollah auf Abschreckung. Im Rahmen der Politik gegen den neuen "Hauptfeind" Iran hat Israel dagegen neue inoffizielle Allianzen mit den Golfstaaten geschlossen. Zugleich hat es die Regierung Netanjahu leichter, gegenüber den geschwächten ehemaligen Hauptakteuren im Regionalkonflikt eigene Interessen durchzusetzen. Insgesamt, so konstatieren die Autoren, haben die anhaltenden gewaltsamen Veränderungen in der Region in Israel zu einer zunehmenden "Wagenburgmentalität" geführt. Auf palästinensischer Seite hat sich die innere Spaltung zwischen Hamas und Fatah verstärkt. Bestrebungen zu einem eigenen zarten "palästinensischen Frühling" wurden von der palästinensischen Autorität beziehungsweise in Gaza von der Hamas unterdrückt.

Das Schlusskapitel zu den "Optionen einer Konfliktregelung" ist angesichts der verfahrenen Lage relativ kurz. Die Autoren machen deutlich, dass das in der internationalen Politik noch immer vorherrschende Paradigma der Zweistaatenlösung nicht mehr mit der vor Ort herrschenden "Einstaatenrealität" übereinstimmt, in der der Staat Israel das gesamte Territorium des historischen Palästinas und dessen Bewohner kontrolliert. Eine "jüdisch dominierte Einstaatenrealität" sehen die Autoren daher auch als eine mögliche, wenn auch hochproblematische Zukunftsperspektive, die vor allem von der israelischen Rechten vertreten wird. Ein "demokratischer binationaler Staat" ist dagegen eine Vision, die nur von kleinen Minderheiten auf beiden Seiten favorisiert wird, während Ideen zu "Konföderationsmodellen" bisher eher akademische Übungen sind, welche sich die zukünftigen Staaten Israel und Palästina als staatliche Union mit jeweils eigenständiger nationaler Identität vorstellen. So endet die hervorragend gelungene Übersicht mit einem Fazit, das wirklich niemanden überraschen dürfte: Auf absehbare Zeit ist eine Regelung des Konflikts unwahrscheinlich.

René Wildangel ist Historiker und schreibt unter anderem zum Schwerpunkt Naher/Mittlerer Osten.

© SZ vom 02.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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