Israel:Die Angst marschiert mit

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Zwei Frauen küssen sich auf der Gay Parade 2015 in Jerusalem. Kurze Zeit später ersticht ein religiöser Fanatiker eine Teilnehmerin und verletzt weitere. (Foto: Amir Cohen/Reuters)

Die tödliche Messerattacke vom Vorjahr überschattet die Gay Pride Parade in Jerusalem. Die Stadt gleicht einer Festung.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Zum Fest der Freiheit gleicht die Stadt einer Festung. Straßen wurden gesperrt und tausend Polizisten abgeordnet, um die "Gay Pride Parade" in Jerusalem abzusichern - und trotzdem ist am Donnerstag die Angst auf jedem Meter mitmarschiert. Denn über der Veranstaltung lag der lange Schatten des vergangenen Jahres, als ein selbsternannter ultra-orthodoxer Sittenwächter mit einem Messer auf die Teilnehmer losgegangen war, ein 16-jähriges Mädchen getötet und sechs andere verletzt hatte. Natürlich hat es auch in diesem Jahr wieder reichlich Drohungen gegeben. Denn im heiligen Jerusalem liefert die Schwulenparade stets neue Munition für den Kulturkampf.

Als Sprachrohr der sogenannten Haredim, der Gottesfürchtigen, die in Jerusalem etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, veröffentlichten zwei ultra-orthodoxe Rabbiner ein Pamphlet gegen diese "Parade der Abscheulichkeit". Wortreich klagten sie über die "Sünder aus dem Ausland", die eigens angereist seien, um in Jerusalem die "furchtbare Schändung von Gottes Namen" zu feiern. Andere fromme Anführer hatten zu massenhaftem Protest gegen das regenbogenbunte Treiben aufgerufen. Für sie ist Homosexualität nicht nur eine Sünde, sondern eine Krankheit, die es auszurotten gilt. Sie berufen sich dabei auf das 3. Buch Mose, denn dort spricht der Herr: "Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau, es ist ein Gräuel, und alle die solche Gräuel tun, werden ausgerottet werden aus ihrem Volk." Das will manch einer wohl als Auftrag verstehen, wie jener Zelot namens Jischai Schlissel, der 2015 auf der Parade das Blutbad anrichtete. Er war damals erst kurz zuvor aus der Haft entlassen worden, weil er schon beim Schwulenmarsch 2005 drei Menschen mit dem Messer attackiert hatte. Diesmal setzte die Polizei vorab auf Abschreckung: "Alle Versuche, die Parade zu stören, werden hart und resolut beantwortet", erklärte der Jerusalemer Polizeichef Joram Halevy.

In der Praxis bedeutete dies, dass Verdächtige von der Polizei angerufen und aufgefordert wurden, sich von der Veranstaltung fernzuhalten. Es gab Verhöre und Verhaftungen nach Hinweisen auf geplante Angriffe. Besonders im Visier der Sicherheitskräfte war die Familie des Vorjahrsattentäters. Schlissels Mutter und fünf seiner Geschwister bekamen für die Zeit der Parade ein Jerusalem-Verbot. Ein weiterer Bruder landete unter dem Verdacht einer geplanten Gewalttat hinter Gittern.

Das trotzige Motto der Schwulenparade: "Wir sind gekommen, um zu bleiben."

Wellen schlug die Parade auch in der Politik. Jerusalems säkularer Bürgermeister Nir Barkat zeigte sich dabei janusköpfig: Auf der einen Seite sagte er der Veranstaltung jegliche Unterstützung zu. Andererseits erklärte er, dass er selbst nicht teilnehmen werde. Er wolle "nicht Teil von etwas sein, das die Gefühle der ultra-orthodoxen und der nationalreligiösen Gemeinschaften verletzt". Gewiss hatte er dabei die frommen Wähler im Blick, doch er musste sich auch ätzender Kritik stellen. Die Chefin der linken Meretz-Partei Zehava Gal-On warf ihm vor, "erneut vor dem religiösen Terror einzuknicken". Anders als der Bürgermeister marschierten in diesem Jahr zahlreiche prominente Politiker wie Oppositionsführer Isaac Herzog oder die frühere Außenministerin Tzipi Livni demonstrativ mit.

Auf 25 000 Teilnehmer ist die Menge angewachsen - das Fünffache vom Vorjahr. Das ist zwar kein Vergleich zu Tel Aviv, wo in diesem Sommer 200 000 Teilnehmer bei der Schwulenparade gezählt wurden. Die Mittelmeer-Metropole gilt als Magnet für Homosexuelle. Doch Jerusalem gab sich das trotzige Motto: "Wir sind gekommen, um zu bleiben." Vieles war dem Gedenken an die im Vorjahr getötete Schira Banki gewidmet - inklusive einer Rede ihres Vaters. Zwei Jerusalemer Männer, Jochai Werman und Jotam Hacohen, dachten sich überdies noch etwas Besonderes aus: eine Hochzeit vor Tausenden Zeugen. Das geht nur symbolisch, in Israel kann man keine Schwulenehe schließen. Das Familienrecht obliegt dem Rabbinat. Die beiden stört das nicht. Sie wollten ein Zeichen setzen: "Es ist nichts Falsches daran, was wir tun", sagten sie. "Es geht allein um Liebe und Frieden."

© SZ vom 22.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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