IS-Verfahren:"Mit der Sonne bestraft"

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Die Konvertitin, das Kind und der Tod: Der Prozess gegen Jennifer W. gerät an Grenzen der Wahrheitsfindung.

Von Annette Ramelsberger

Es ist weltweit das erste Verfahren, das gegen ein Mitglied des terroristischen Islamischen Staates (IS) geführt wird, in dem es um Sklaverei, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Mord zugleich geht. Vor dem Oberlandesgericht München ist Jennifer W. angeklagt, eine junge Mutter aus Lohne in Niedersachsen, die mitten im Krieg 2015 nach Syrien aufbrach, um ihre Vorstellung vom richtigen Leben zu verwirklichen. Jennifer W. heiratete einen Dschihadisten und zog mit ihm in ein Haus in der irakischen Stadt Falludscha. Das junge Paar ließ sich dort von einer Sklavin bedienen, die der Mann aus der Beute des IS gekauft hatte: eine jesidische Bauersfrau, die mit ihrer fünfjährigen Tochter in die Hände des IS gefallen war und nun von einem Kämpfer zum nächsten weitergereicht wurde. Mal wurde die Sklavin vergewaltigt, mal musste sie nur das Haus putzen, dann wurde sie wieder grundlos geschlagen, so wie im Haus von Jennifer W. und deren Mann.

Es ist ein Schicksal, das Tausende jesidische Frauen unter dem IS erlitten haben, auch die Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad. Doch diese Frau steht nun im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Sie soll dafür sorgen, dass zum ersten Mal ein Mitglied des IS wegen des Terrors gegen die Jesiden verurteilt wird. Denn der Mann von Jennifer W. soll die Tochter der Sklavin an einem brütend heißen Tag im Hof seines Hauses angekettet haben, am Fenstergitter, sodass das Kind starb. Jennifer W. soll nichts getan haben, um das Kind zu retten. Ihr wirft die Bundesanwaltschaft Mord durch Unterlassen vor.

Es ist eine schwierige Aufgabe, die sich die Anklagebehörde da gestellt hat. Denn was zu Beginn des Prozesses gegen Jennifer W. noch so klar ausgesehen hatte, wurde im Verlauf der Verhandlung zunehmend problematischer. Zu Beginn gab es nur eine Aussage: die von Jennifer W. Die Frau war während ihrer Ehe in Falludscha schwanger geworden und zur Geburt nach Deutschland zurückgekehrt. Jennifer W. zog es schon nach kurzer Zeit zurück zum IS. Und als ein angeblicher Glaubensbruder sie per Internet ansprach und ihr anbot, sie wieder dorthin zurückzubringen, sagte sie zu. Doch der Bruder war ein Agent der CIA, sein Auto verwanzt. Und als Jennifer W. während der Fahrt Richtung Türkei offen erzählte, dass in ihrem Haus in Falludscha ein kleines Mädchen gestorben ist, weil ihr Mann es "mit der Sonne bestraft" habe - da horchten die Staatsanwälte auf. Die Polizei griff zu.

Die Verteidiger von Jennifer W. wollen entpflichtet werden, weil sie sich durch die Justiz behindert sehen: Hier Anwalt Ali Aydin neben seiner Mandantin. (Foto: Peter Kneffel/AFP)

Kaum war die Anklage gegen Jennifer W. öffentlich geworden, meldete sich die Hilfsorganisation Yazda, die verschleppte Jesidinnen zu den Gräueln ihrer Gefangenschaft befragt. Yazda erklärte, man betreue da eine Frau, die auch von einem Haus in Falludscha erzähle, von einem IS-Kämpfer, der sie ständig geschlagen und der ihre fünfjährige Tochter am Fenster des Hauses aufgehängt habe, sodass das Kind starb. Nora B. heißt diese Zeugin. Sie wurde quasi zur Kronzeugin in diesem Verfahren, und jedes Mal begleiteten sie drei Personenschützer in den Saal.

Nora B. hat Schreckliches erlebt. Das kann man ihr glauben. Auch, dass sie alles tat, um eine gute Zeugin zu sein. Im Juli, August und September erzählte sie im stickigen Saal des Gerichts stundenlang, was ihr geschehen war. Immer wieder sagte sie, übersetzt von einer Dolmetscherin: "Ich werde nur die Wahrheit sagen." Die Frau tat sich schwer. Sie ist eine einfache Landarbeiterin. Sie kann nicht lesen, nicht schreiben, Entfernungen nicht abschätzen. Sie kann auch die Uhrzeit nicht lesen.

Das wurde in dem Verfahren wichtig, als sie beschreiben sollte, wie lange ihre Tochter angekettet war - eine halbe Stunde, eine Stunde, länger? Am Anfang erklärte sie noch, ihr Kind habe "lange" in der Sonne gehangen. Später war es nur noch kurz. Aber was bedeutet das schon? Als die Verteidiger von Jennifer W. die Frau fragten, ob sie denn wisse, was länger sei, eine Stunde oder eine halbe Stunde, da schüttelte sie nur den Kopf und sagte, das wisse sie nicht.

Frauen ehemaliger IS-Kämpfer im Lager Al Hol in Syrien. (Foto: Delil Souleiman/AFP)

Was soll ein Gericht damit anfangen?

Auch wie das Kind gehangen hat, änderte sich von Aussage zu Aussage. Mal waren die Arme überkreuz gebunden, dann hing es wie eine Gekreuzigte am Gitter, mal standen die Füße auf dem Fensterbrett, mal hingen sie in der Luft. Die Zeugin hat auch die Rolle von Jennifer W. von Aussage zu Aussage anders beschrieben. Erst spielte sie gar keine Rolle, dann war sie die Böse, die ihren Mann aufhetzte. Erst erkannte die Zeugin ihre ehemalige Sklavenhalterin nicht, dann plötzlich, nach einer Gerichtspause, war sie sich ganz sicher, dass Jennifer W. es war. Die Verteidigung wies im November auf eine sehr ähnliche Konstellation hin, in einem Verfahren gegen eine IS-Frau in Düsseldorf.

Auch dort wuchs der Belastungseifer einer jesidischen Zeugin, sobald sie in Deutschland angekommen war. Jennifer W.s Verteidiger Seda Basay-Yildiz und Ali Aydin verteidigen auch in Düsseldorf eine Frau, die zum IS gegangen war und die in ihrem Haus eine jesidische Sklavin gehalten hatte. Im Irak noch, bei einer ersten Befragung durch die Hilfsorganisation Yazda, hatte diese verschleppte Jesidin erklärt, sie sei nicht vergewaltigt worden und die deutsche Frau sei besser gewesen als die Iraker. Kaum war sie in Deutschland, erzählte sie der Bundesanwaltschaft, sie sei ständig von dem Mann vergewaltigt worden und die deutsche Sklavenhalterin habe ihr gesagt, sie dürfe sich ihm nicht verweigern.

Die Verteidigung sieht die Zeuginnen in den Terrorverfahren unter großem Druck: Sie wurden nach Deutschland geholt, sie werden hier versorgt, bekommen in Aussicht gestellt, dass sie bleiben dürfen. Und sie fühlen sich zu Dank verpflichtet. Das kann Aussagen beeinflussen. In München brach aus der Zeugin heraus, sie habe Dinge verschwiegen, um der Bundesanwaltschaft keine Probleme zu machen. Die Verteidigung registrierte es mit Aufmerksamkeit.

Nach dem Prozess gegen Jennifer W. soll im Jahr 2020 dann gegen ihren Mann verhandelt werden. Der wurde im Mai von der Polizei in Griechenland gefasst und nach Deutschland ausgeliefert. Im November kam er einmal kurz in den Prozess gegen Jennifer W., drahtig, lächelnd, 27 Jahre alt. Er berief sich auf das Recht, seine Aussage zu verweigern, um sich nicht selbst zu belasten. Seine Frau blickte er nur kurz an, dann sagte er, er sei gar nicht verheiratet mit ihr: "Ich habe nur ein Kind von ihr." Sie blickte ihm nach, bis er abgeführt wurde.

© SZ vom 01.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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