IS-Prozess:Mordopfer lebt angeblich

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Jennifer W. ist wegen Mordes und Sklavenhaltung angeklagt. (Foto: Sebastian Widmann/Getty Images)

Die Verteidiger von Jennifer W. bezweifeln den Tod einer Fünfjährigen und bieten Zeugen in Falludscha auf, die das Kind noch im Krankenhaus gesehen haben wollen.

Von Annette Ramelsberger, München

Paukenschlag im Prozess gegen die deutsche Islamistin Jennifer W.: Die Frau ist vor dem Oberlandesgericht München des Mordes durch Unterlassen angeklagt. Seit einem Jahr wird gegen die 30-Jährige verhandelt, weil sie nicht eingeschritten sein soll, als ihr Mann, ein IS-Kämpfer, in Falludscha ein kleines Mädchen bei 48 Grad Hitze verdursten ließ. Am Freitag erklärte die Verteidigung überraschend: Das Kind soll gar nicht tot sein. Es kann, so zitierten die Verteidiger aus dem Gutachten des medizinischen Gutachters Helmut Pankratz, nicht verdurstet sein, wie das in der Anklage als wahr unterstellt wird. "Ein Tod durch Verdursten selektiv aufgrund einer vorenthaltenen Flüssigkeitsaufnahme kommt kaum in Betracht", schreibt der Rechtsmediziner.

Die Mutter erklärte, sie habe ihr Mädchen sterbend im Arm gehalten

Die Verteidiger von Jennifer W., Ali Aydin und Seda Basay-Yildiz, bieten nun mehrere Nachbarn und Verwandte des früheren Ehepaars aus Falludscha auf, die bezeugen sollen, dass das Kind gar nicht tot sei. So gibt ein Nachbar an, er habe den Mann von Jennifer W. mit dem Kind ins Krankenhaus begleitet und gesehen, wie das Kind von IS-Polizisten mitgenommen worden sei. Es sollte als Sklavin verkauft werden. Bei der Ankunft im Krankenhaus habe die Fünfjährige noch gelebt. Der Frau des IS-Kämpfers, Jennifer W., die mit der Mutter des Mädchens, einer jesidischen Sklavin, zuhause geblieben war, sei erzählt worden, das Kind sei tot. Der Zeuge habe das Kind erneut im Krankenhaus besucht. Das Mädchen sei wohlauf gewesen.

Demgegenüber hatte die Mutter des Kindes erklärt, sie habe ihr Mädchen sterbend im Arm gehalten. Der Kiefer sei schon verkrampft gewesen. Auch die Angeklagte selbst hatte erzählt, ihr Mann habe ein Mädchen in Falludscha "mit der Sonne bestraft", es sei gestorben.

Die Verteidigung stützt sich auf die Gutachten der Rechtsmedizin, wonach der Tod anhand der Aussagen der Mutter, die vor Gericht ausgesagt hatte, nicht mit Sicherheit abgeleitet werden könne. Verteidigerin Basay-Yildiz erklärte: "Es steht nicht fest, dass das Kind verstorben ist. Die Angeklagte hat nie ein totes Kind gesehen. Ihr wurde berichtet, dass das Kind tot sei." Sie beantragte, die Zeugen per audiovisueller Vernehmung zu hören. Ein Vertreter der Nebenklage nannte die Angaben am Rande der Verhandlung in sich unlogisch und wenig glaubwürdig.

© SZ vom 08.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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