Irak-Krieg:"Der Krieg war längst beschlossene Sache"

Lesezeit: 6 min

Der ehemalige deutsche UN-Botschafter Gunter Pleuger über seine damaligen Zweifel an den Kriegsgründen der USA, seine Gefühle während der entscheidenden Sitzung in New York und den Umgang mit Lügen in der internationalen Diplomatie.

Thorsten Denkler

Gunter Pleuger, 66, war von 1999 bis 2002 Staatssekretär im Auswärtigen Amt, ehe er als ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen nach New York wechselte. Er amtierte knapp vier Jahre lang und vertrat auch im Jahr 2003, als Deutschland einen Sitz im Weltsicherheitsrat innehatte, die ablehnende Haltung seines Landes zum Irak-Krieg.

Gunter Pleuger: "Der Druck der USA auf die Krigesgegner war enorm." (Foto: Foto: AP (Archiv))

sueddeutsche.de: Herr Pleuger, wann wurde Ihnen zum ersten Mal bewusst, dass die von den Amerikanern angegebenen Gründe für ein Eingreifen im Irak unzutreffend waren?

Gunter Pleuger: Das drängte sich am stärksten auf, als der damalige amerikanische Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 im Sicherheitsrat vorgetragen hat. Wir hatten aber auch schon vorher Zweifel, ob die Behauptungen der Amerikaner richtig sind.

sueddeutsche.de: Zweifel oder Gewissheit?

Pleuger: Zweifel. Keiner der beiden Inspektoren - weder Mohammed el-Baradei, der für Atomwaffen zuständig war, noch Hans Blix, der nach allen anderen Waffen suchen sollte - hat in irgendeiner Weise bestätigt, was die Amerikaner und die Briten behaupteten. Insbesondere, dass Saddam Hussein innerhalb von 48 Stunden eine Atombombe zünden oder mit anderen Massenvernichtungswaffen zuschlagen könne.

sueddeutsche.de: Gab es noch weitere Indizien für Ihre Zweifel?

Pleuger: Es gab auch die unsinnige Behauptung, dass Hussein mit dem Terrornetzwerk al-Qaida und den Taliban zusammenarbeite. Der Irak war ein säkularer Staat. Hussein war ein säkularer Diktator. Er sah Osama bin Laden und die Taliban eher als seine Feinde an. Ich habe mich immer, wenn el-Baradei und Blix in New York waren, lange mit ihnen über viele Details unterhalten. Das hat mich in meinem Eindruck bestätigt, dass der Krieg längst beschlossene Sache war.

sueddeutsche.de: Was eine Untersuchungskommission des US-Senats später bestätigt hat...

Pleuger: Richtig. Wir wussten ja vorher nie ganz genau, wann dieser Krieg entschieden wurde, wahrscheinlich schon in der zweiten Juli-Hälfte 2002 im amerikanischen Kabinett.

sueddeutsche.de: Wann hatten die Deutschen erste Hinweise darauf, dass es nicht mehr um das Ob, sondern lediglich um das Wann ging?

Pleuger: Die Amerikaner haben ja schon früh begonnen, ihre militärische Präsenz am Golf dramatisch zu verstärken. Unsere Militärexperten haben uns damals gesagt: Wenn solch eine Armada aufgefahren wird, dann ist das ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr zu stoppen, ohne dass man sein Gesicht verliert und ohne dass die Moral der Truppe zusammenbricht.

Nach der Sicherratssitzung am 5. Februar ging der Aufmarsch der Koalitionstruppen weiter, zugleich gab es mehrere Initiativen, den Inspektoren mehr Zeit für den Abschluss ihrer Arbeit zu geben - die alle von den USA abgelehnt wurden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Gunter Pleuger während der entscheidenden UN-Sitzung zu Mute war.

sueddeutsche.de: Bevor Colin Powell am 5. Februar 2003 im UN-Sicherheitsrat seine Satellitenbilder, Videos und Grafiken mit den angeblichen Massenvernichtungswaffen präsentierte: Hatten Sie da vielleicht die vage Hoffnung, dass Powell Ihre Zweifel ausräumen könnte?

Pleuger: Nein, jedenfalls nicht mehr nach dieser Sitzung.

sueddeutsche.de: Wussten Sie, was Powell vorhatte?

Pleuger: Es war zumindest nicht ganz überraschend. Wir kannten die amerikanische Argumentation ja bereits aus vielen Sitzungen zuvor. Wir wussten auch in etwa, in welcher Form Powell den Vortrag halten würde, mit Bildern und grafischen Darstellungen. Das war natürlich auch innenpolitisch motiviert für die amerikanischen Fernsehzuschauer.

sueddeutsche.de: Sie saßen in der UN-Sitzung direkt hinter Außenminister Joschka Fischer, der die Sitzung zu leiten hatte. Rechts von Ihnen Powell. Was ging Ihnen während der Sitzung durch den Kopf?

Pleuger: Das war alles sehr gespenstisch. Die meisten im Saal wussten, dass das, was Colin Powell da vortrug, nicht der Realität entsprach. Aber wir haben uns damals nicht vorstellen können, dass Colin Powell bewusst die Unwahrheit sagen würde.

sueddeutsche.de: Aber er hat.

Pleuger: Das hat er später öffentlich zugegeben - als er gesagt hat, das werde immer ein schwarzer Fleck auf seiner Weste blieben.

sueddeutsche.de: Das sitzt also der amerikanische Außenminister rechts von Ihnen und Sie wissen, die Fakten stimmen nicht. Kommt das öfter vor?

Pleuger: In den Vereinten Nationen geht es zum Teil um beinharte Interessen. Und die werden manchmal auch mit falschen Behauptungen vertreten.

sueddeutsche.de: Fühlt man sich da hinters Licht geführt?

Pleuger: Es ist Teil unserer Professionalität, mit so etwas umzugehen. Wenn Sie da persönliche Gefühle einbringen, dann sind Sie schon verloren. Wenn man Interessenskonflikte lösen will, muss man verstehen, was die Gegenseite will - und versuchen, einen Kompromiss zu finden, der die Interessen aller Seiten berücksichtigt.

sueddeutsche.de: Ist die Lüge Teil des Geschäfts?

Pleuger: Im Gegenteil: Die Lüge ist unprofessionell und eher das Ende des Geschäftes.

sueddeutsche.de: Wie meinen Sie das?

Pleuger: Wenn Sie einen Kollegen belügen, dann haben Sie davon vielleicht einen kurzfristigen Vorteil. Aber in unserem Geschäft kommt letztlich alles raus. In dem Moment, in dem jemand erfährt, dass er belogen worden ist, wird er Ihnen nie wieder vertrauen.

sueddeutsche.de: Sie hatten damals gute Beziehungen zum US-amerikanischen UN-Botschafter John Negroponte. Der wird es Ihnen gegenüber mit der Wahrheit nicht so genau genommen haben.

Pleuger: Ich habe mich mit Botschafter Negroponte persönlich immer gut verstanden. Ich kann nicht genau beurteilen, inwieweit Negroponte darüber im Bilde war, was in Washington tatsächlich ablief. Er führte natürlich die Weisungen seiner Regierung in Washington aus.

sueddeutsche.de: Es gibt in der UN die sogenannten "informal informals". Das sind Treffen ohne Kameras, ohne Protokoll und ohne Tonbandgeräte. Hätte er Ihnen nicht da - wenn auch nur durch die Blume - sagen können, was er wusste?

Pleuger: In solchen Treffen kann man sehr offen sprechen, aber natürlich vertritt auch dabei jeder Botschafter die Politik seiner eigenen Regierung.

sueddeutsche.de: Er muss doch gewusst haben, dass das alles nicht ganz stimmen kann, was die Amerikaner vortrugen.

Pleuger: Das mag sein, aber darüber kann er Ihnen nur selbst Auskunft geben.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie die Auseinandersetzung damals empfunden?

Pleuger: Als äußerst ernst. Es ging um Krieg und Frieden, um das Leben vieler Menschen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert dringender gebraucht werden als je zuvor.

sueddeutsche.de: Es gab zwischen dem 8. Februar und dem 20. März 2003 noch eine ganze Reihe diplomatischer Initiativen, den Krieg zu verhindern oder wenigstens hinauszuzögern. Sie sind allesamt vom Tisch gewischt worden. Hat die Diplomatie versagt?

Pleuger: Die Diplomatie hat funktioniert. Man kann zwar eine Supermacht wie die USA nicht ernsthaft daran hindern, einen Krieg zu führen. Was Sie aber machen können, ist, das internationale Gremium, das seinen Segen dazu geben soll, so zu beeinflussen, dass dieser Beschluss letztlich nicht gefasst wird. Das haben wir dann ja auch erreicht. Von den 15 Mitgliedern des Sicherheitsrates hatten wir zum Schluss elf auf unserer Seite. Wir haben dafür gesorgt, dass es nach 1441 eine zweite Resolution, die den Krieg legitimiert hätte, nicht gegeben hat. Was dann geschehen ist, geschah außerhalb der Diplomatie, außerhalb der UNO durch eine "Koalition der Willigen".

sueddeutsche.de: Wie groß war der Druck der Amerikaner auf die Kriegsgegner?

Pleuger: Enorm. Es ging soweit, dass nicht genehme Botschafter abberufen wurden. Wissen Sie, wenn Sie in New York überleben wollen, reicht es nicht, nur die volle Unterstützung der eigenen Regierung zu haben. Viel wichtiger ist: Die anderen müssen es wissen - um zu verhindern, dass gegen den ungenehmen Botschafter bei dessen Regierung regelmäßig demarchiert wird mit allen möglichen Behauptungen, die wahr oder unwahr sind.

sueddeutsche.de: Ein Beispiel?

Pleuger: In einem Fall ging das einher mit ganz massivem Druck auf die Regierung eines Botschafters, der gegen den Krieg war. Es wurden angedroht: die Nichtratifizierung eines Freihandelsabkommens, die Stärkung der Opposition und die Einschränkung der bisherigen Handelsbeziehungen mit harten wirtschaftlichen Konsequenzen für das Land. Das führte dazu, dass der Botschafter abgezogen wurde.

sueddeutsche.de: Ist Ihnen Ähnliches schon passiert?

Pleuger: Nicht in dieser Härte. Aber auch gegen mich wurde regelmäßig demarchiert. Außenminister Fischer hat dann stets darauf hingewiesen, dass der Botschafter nicht eigene Politik macht, sondern die Politik der Bundesregierung ausführt.

sueddeutsche.de: Kriegsunterstützer wie etwa Spanien oder Großbritannien kannten Ihre Argumente, wussten von den gefälschten Dokumenten, hatten die Berichte von Blix und el-Baradei gelesen. Es muss Sie doch irrsinnig gefuchst haben, dass Sie dennoch an der Seite der Amerikaner blieben.

Pleuger: Das war deren Entscheidung. Vielleicht haben insbesondere auch die Briten geglaubt, durch ihre Unterstützung der USA Einfluss auf deren Entscheidungen ausüben zu können. Das war eine Illusion, wie wir heute wissen.

sueddeutsche.de: Die Amerikaner waren nach ihrer Niederlage im UN-Sicherheitsrat der Überzeugung, die UN sei irrelevant geworden, sei ein reiner Debattierclub.

Pleuger: Schauen Sie sich die Welt doch an. Heute können wir sagen, dass die Entscheidung des Sicherheitsrates völlig richtig war, gegen diesen Krieg zu sein. Die Mehrheit der Staaten und die Mehrheit der Bevölkerung selbst in den Koalitionsstaaten waren gegen diesen Krieg. Mehr als die Hälfte der Amerikaner ist heute auch dieser Auffassung.

sueddeutsche.de:

Ein später Sieg der Vereinten Nationen?

Pleuger:

Ich würde nicht von Sieg sprechen. Was sich jetzt zeigt, ist eine Rückkehr der Vereinigten Staaten zu den Möglichkeiten multilateraler Politik. Der einstige UN-Generalsekretär Kofi Annan hat damals als Reaktion auf die Angriffe der Amerikaner gesagt: Die Vereinten Nationen bestehen nicht nur aus der Irak-Frage. Das ist völlig richtig.

Wie wollen Sie denn die Bedrohungen und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts lösen, die alle grenzüberschreitend sind? Angefangen beim Terrorismus über die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und internationales Krisenmanagement bis hin zum Hunger und zur globalen Klimaerwärmung? Das können sie nur in Kooperation mit allen anderen Staaten lösen. Und es gibt nur eine Organisation, in der sie diese Zusammenarbeit bewirken können: Das sind die Vereinten Nationen.

© sueddeutsche.de/jja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: