Interview mit Khaled el-Masri:"Ich bin ein Unschuldiger"

Lesezeit: 6 Min.

Der von der CIA entführte Deutsch-Libanese berichtet über seine Odyssee.

Nicolas Richter

SZ: Sie wollten am vergangenen Samstag, von Stuttgart kommend, in die USA einreisen, um eine Klage gegen die CIA vorzubereiten. Was ist passiert?

Khaled el-Masri (Foto: Foto: dpa)

Masri: Noch am Flugzeug empfingen mich zwei Polizisten, sie kontrollierten meinen Pass und baten mich, ihnen zu folgen. In einem Raum, in den mein Anwalt mich nicht begleiten durfte, fragten sie mich, was ich in den USA wolle. Ich antwortete: Eine Besprechung mit meinem US-Anwalt wegen eines Vorfalls mit der CIA. Sie sagten, ich dürfe nicht einreisen, und mit niemandem in den USA sprechen, auch nicht mit dem Anwalt.

SZ: Konkreter wurden sie nicht?

Masri: Nein. Als sie sagten, ich müsse zurück, bekam ich Angst. Ich dachte an Guantanamo, an ein Lager wie jenes, in das ich verschleppt wurde. Sie sagten, es gebe keinen Flug mehr nach Stuttgart, ich müsse in einer Zelle am Flughafen übernachten. Ich weigerte mich. Ich sagte, finden Sie einen Flug nach irgendwo in Europa, ich bleibe nicht hier. Ich war wütend, dass man mich wieder wie einen Verbrecher behandelte - und enttäuscht, weil mir der Zugang zum amerikanischen Recht verweigert wurde.

SZ: Fand sich noch ein Flug?

Masri: Es gab eine Maschine nach Paris. Ich schaute erst in das Flugzeug, ob dort viele Passagiere waren. In eine leere Maschine wäre ich unter keinen Umständen gestiegen. In einer leeren Boeing hatte man mich damals nach Afghanistan geflogen. Die Polizisten sagten: Ihren Pass bekommen Sie erst nach dem Start zurück. In Paris wurde er mir dann von französischen Beamten ausgehändigt.

SZ: Mit welchen Erwartungen waren Sie in die USA gereist?

Masri: Ich war sehr unsicher. Ich traue den USA nicht mehr. Sie halten sich nicht an die Gesetze.

SZ: Plötzlich sind Sie weltbekannt. Ist das erfreulich oder erschreckend?

Masri: Es freut mich, dass die Sache vielleicht endlich mal aufgeklärt wird, statt nur in einer Schublade zu verschwinden. Nach meiner Rückkehr aus der Gefangenschaft war ich sehr verzweifelt. Mein Glaube an Recht und Gesetz, aber auch an die Menschen war tief erschüttert. Ich zweifelte, ob mir jemand glauben würde. Meine Geschichte klang zu wild. Jetzt habe ich wieder Hoffnung.

SZ: Sind Sie enttäuscht von der Bundesregierung? Glauben Sie, man tat nicht genug, um Ihnen zu helfen?

Masri: Ja, ich bin enttäuscht. Ich hätte erwartet, dass die Regierung hilft, den Fall auf rechtlichem Wege aufzuklären. Ich will wissen, warum man mir das angetan hat und wie das abgelaufen ist. Es geht mir nicht um Geld, obwohl ich in den USA auch auf Entschädigung klage. Ich will endlich die Hintergründe kennen - und eine Entschuldigung von den USA.

SZ: Bundesminister Schily wusste seit Mai 2004 Bescheid, tat aber nichts. Muss auch er sich entschuldigen?

Masri: Ich kenne diese Details nicht. Aber es klingt nach einem groben Fehler.

SZ: Haben Sie bei der Gefangenschaft in Mazedonien und in Afghanistan je verstanden, was man Ihnen vorwirft?

Masri: Zuerst hieß es auch in Afghanistan, mein Pass sei gefälscht. Dann behaupteten die Amerikaner, ich sei in Wahrheit ein anderer und hätte bei Dschalalabad in einem Lager trainiert. Ich habe gesagt: Überprüfen Sie doch meinen alten Pass, der liegt noch zu Hause mit allen alten Visa. Ich war nie in Afghanistan oder Pakistan.

SZ: Sie kommen aus Neu-Ulm. Das dortige Multikulturhaus galt lange als Treffpunkt für Islamisten. Wurden Sie danach gefragt?

Masri: Anfangs fragten sie, ob ich in die Moschee gehe, ob es da Hassprediger gibt oder Aufrufe zum heiligen Krieg. Erst im März, also zwei Monate nach meiner Festnahme, fragten sie sehr intensiv nach Neu-Ulm und den Leuten dort. Zum Beispiel nach Reda Seyam (gegen den die Bundesanwaltschaft wegen der Anschläge auf Bali im Jahr 2002 ermittelt; er soll auch den Dschihad in Bosnien unterstützt haben, d. Red).

Ich habe erzählt, dass ich Reda Seyam aus dem Multikulturhaus kannte. Wir haben mal zusammen eingekauft, ich habe ihm beim Umzug geholfen, er hat mich und die Familie zum Essen eingeladen. Aber wir haben nie über Bosnien oder Dschihad gesprochen. Ich kannte die Zeitungsartikel über ihn und über andere verdächtige Vorgänge in Neu-Ulm. Ich habe das ignoriert, weil ich selbst nie etwas Verdächtiges gesehen oder gehört habe. Keine Hasspredigt, keine Appelle zum Heiligen Krieg. Ich dachte, wenn Reda ein Problem mit der Justiz hat, dann läuft er doch nicht frei herum.

SZ: Angeblich wurden Sie mit einem Verdächtigen im Zusammenhang mit der Hamburger Terrorzelle verwechselt. Dagegen spricht wohl, dass Sie nach dem Anführer Mohammed Atta und seinen Komplizen gar nicht gefragt wurden?

Masri: Am Ende sagte man mir, ich sei verwechselt worden. Aber nach der Hamburger Zelle haben sie nicht gezielt gefragt, es war eher zufällig. Bei einer Vernehmung schimpfte ein Amerikaner: Die größten Terroristen kommen aus Deutschland! Ich entgegnete: Was kann ich dafür, dass Atta mal in Deutschland war. Da sprang der Mann auf und sagte: Woher kennen Sie Atta? Ich antwortete: aus den Medien. Dass die Hamburger Terroristen einen Mann namens Masri kannten, habe ich erst erfahren, als ich wieder in Deutschland war.

SZ: Also keine Verwechslung?

Masri: Ich hatte meinen Pass dabei, den Ausweis, die Bank-Karte, die Metro-Karte, den Beleg vom Reisebüro. Man hätte schnell feststellen können, dass ich ein Unschuldiger bin mit echten Papieren. Warum ich trotzdem so lange festgehalten wurde, weiß ich nicht. Ich möchte es wissen. Alles ist sehr seltsam.

SZ: Deutschlands Rolle in diesem Fall ist noch sehr diffus. Kurz vor Ihrer Freilassung tauchte ein Mann namens Sam auf. Die deutschen Geheimdienste behaupten, er sei kein deutscher Agent. Welchen Eindruck hatten Sie?

Masri: Er war hundertprozentig ein Deutscher. Er hatte einen norddeutschen Akzent. Kein Hauch von amerikanischem Dialekt. Er hat einmal erzählt, dass seine Frau auch bei Metro einkauft. Bevor er einmal nach Deutschland flog, fragte er mich, ob ich was von zu Hause will. Am Schluss hat er mich im Flugzeug zurückbegleitet auf den Balkan. Er sagte: Wir haben einen neuen Bundespräsidenten. Das war Horst Köhler.

SZ: Also womöglich ein Deutscher. Doch für wen arbeitete er?

Masri: Ich habe gefragt, ob er von einer deutschen Behörde ist. Er sagte: Das will ich nicht beantworten. Ob die deutschen Behörden wüssten, dass ich in Afghanistan bin, wollte er auch nicht beantworten. Ich fragte: Weiß meine Frau, dass ich hier bin? Er sagte: Nein. Er wirkte sehr routiniert, er verhielt sich den afghanischen Wärtern gegenüber, als kenne er sich dort aus. Seine Armbanduhr war die gleiche wie die der Amerikaner. Vielleicht arbeitete er für die USA.

SZ: Was ist die schlimmste Erinnerung aus dieser Zeit?

Masri: Am Flughafen von Skopje haben mich die Amerikaner für den Flug vorbereitet, mich nackt ausgezogen und geschlagen. Sie haben mich gedemütigt. Die Details will ich nicht nennen. Aber es war das Schlimmste. Ich werde es nie vergessen und nie verzeihen.

SZ: Wurden Sie auch in Afghanistan misshandelt?

Masri: Am Anfang haben sie mich auf den Boden geworfen und von allen Seiten getreten. Doch die Gewalt hörte auf. Schlimm waren die Umstände: Essen und Wasser waren ekelhaft. Wir sind deswegen in einen Hungerstreik getreten, mehr als einen Monat lang.

SZ: Wurden andere misshandelt?

Masri: Nicht in diesem Gefängnis. Aber viele hatten anderswo schreckliche Erfahrungen gemacht. Sie erzählten von einem Gefängnis der Amerikaner in der Nähe, vielleicht zehn Minuten Fahrt entfernt. Es hieß Dunkelheits-Gefängnis. Es war dort stets finster, Tag und Nacht liefen äußerst laute aggressive Musik oder Beleidigungen gegen Allah. Andere erzählten, man habe sie an den Händen tagelang aufgehängt, auch zum Schlafen. Mein Zellennachbar war aus Afrika, ihm ging es sehr schlecht, er schlug seinen Kopf gegen die Wand. Die Polizei in seiner Heimat hatte ihm die Arme mehrfach gebrochen, man hatte ihn auch in einen Koffer gesteckt, der so übel roch, dass er sich darin übergeben musste. Dann haben ihn die Amerikaner übernommen. Sie drohten, ihn zu vergewaltigen.

SZ: Können Sie mittlerweile wieder ein normales Leben führen?

Masri: Ich finde keine Arbeit. Wer will schon einen, der irgendwas mit der CIA zu tun hat. Schon vor der Entführung war es schwer, in Neu-Ulm ein Araber zu sein. Wenn ich eine Wohnung suchte, hieß es: Sie haben aber nichts mit Osama bin Laden zu tun? Jetzt reden die Leute auf der Straße manchmal über mich. Ich gehe nur noch selten aus dem Haus.

SZ: Verfolgt Sie die Entführung?

Masri: Ja. Ich träume von Vernehmungen. Im Keller wird mir ganz mulmig. Schlimm sind Fernsehbilder von Guantanamo, Abu Ghraib, Stacheldraht, Militärstützpunkten. Dann überwältigen mich die Tränen, die Wunden brechen auf und ich denke an die Häftlinge, daran, was sie durchmachen.

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