Interview mit Friedrich Merz:"Bequemer, leichter, lockerer wird es nicht"

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Der finanzpolitische Sprecher der Union sagt, die Möglichkeiten der Steuerpolitik zur Belebung des Arbeitsmarktes seien ausgereizt. Darum fordert Friedrich Merz im SZ-Interview zusätzliche Einschnitte ins soziale Netz. Die Wähler dürften das nicht gerne hören.

Von Susanne Höll und Ulrich Schäfer

SZ: Herr Merz, die Union kann sich alles leisten und bekommt dennoch absolute Mehrheiten. Muss die Partei überhaupt noch programmatisch arbeiten? Merz: Wir bekommen in der Tat seit langer Zeit sehr gute Wahlergebnisse. Aber wir haben am Sonntag gegenüber der letzten Europawahl auch 1,7 Millionen Stimmen verloren. Die Wähler sind noch nicht wirklich fest davon überzeugt, dass die Union besser regieren kann als Rot-Grün. Wir müssen nach der Steuer- und Arbeitsmarktpolitik unseren sozialpolitischen Kurs klären. Die Arbeit an einem rundherum überzeugenden und widerspruchsfreien Regierungsprogramm ist noch nicht abgeschlossen.

SZ: Das Hin und Her in der Frage der Rentenbesteuerung zeigt doch, dass auch in einer unionsgeführten Regierung Chaos herrschen würde. Merz: Den Vergleich mit Rot-Grün lasse ich wirklich nicht gelten. Es gibt bei uns in Einzelfragen auch hin und wieder unterschiedliche Auffassungen, aber anders als in der SPD keinen Richtungsstreit. Wir haben manchmal unterschiedliche Auffassungen, wie weit man in dieselbe Richtung gehen soll, aber wir sind in derselben Richtung unterwegs. Bei der notwendigen Neuordnung der Besteuerung der Alterseinkünfte hätte ich eine gemeinsame Lösung im Bundestag vorgezogen. Aber das Ergebnis ist auch so im Wesentlichen in Ordnung.

"Kranken- und Pflegeversicherung müssen vom Arbeitsverhältnis entkoppelt werden"

SZ: Gibt es wirklich keinen Richtungsstreit? Bei den zentralen Reformfragen wie Gesundheit, Steuern und Rente liegen CDU und CSU doch über Kreuz. Merz: Nun mal langsam. Wir sind in der Arbeitsmarktpolitik, dem strategisch wichtigsten Reformthema, sehr dicht beieinander, wir sind dies auch in der Steuerpolitik. Über die Gesundheitspolitik wird diskutiert, ja. Am Ende dieser Diskussion sollte das CDU-Modell für eine Gesundheitsprämie stehen: Kranken- und Pflegeversicherung müssen vom Arbeitsverhältnis entkoppelt werden. Und dem widerspricht auch die CSU nicht.

SZ: Es gibt Pläne in der CDU, auf die Altersrücklage in der Krankenversicherung zu verzichten. Eine gute Idee? Merz: Es ist zunächst einmal eine gute Idee, alle denkbaren Varianten durchzurechnen. Wir müssen mit sauberen Finanzierungsmodellen in eine Regierung gehen, um nicht die Serie Versuch und Irrtum von Rot-Grün fortzusetzen. Ich hielte es aber für keine gute Idee, auf die Rücklage und den Aufbau eines Kapitalstocks zu verzichten. Den Zuschlag muss es geben, damit wir nicht in einigen Jahren die Beiträge zu Lasten der jungen Generationen drastisch erhöhen müssen.

SZ: Überlegt wird, die Gesundheitsprämie dadurch zu bezahlen, dass der Spitzensteuersatz schon bei geringeren Einkommen greift. Auch keine gute Idee? Merz: Schon mit einem Spitzensteuersatz von 36 Prozent lägen wir im internationalen Vergleich eher zu hoch. Die Ertragsteuern werden angesichts der EU-Ost-Erweiterung weiter unter Druck geraten. Wir werden die für den sozialen Ausgleich notwendigen Mittel gar nicht erzielen, wenn die Steuerlast steigt, sei es durch höhere Sätze oder früher greifende Spitzensteuersätze.

Unionspolitiker aus den Ländern zweifeln an den CDU-Reformvorschlägen

SZ: Woher kommt das Geld dann? Merz: Das ist eine Grundsatzfrage, der ich nicht vorgreifen will. Der soziale Ausgleich kann aus dem allgemeinen Steueraufkommen geleistet werden, wenn wir alles tun, um aus der Wachstums- und Beschäftigungskrise herauszukommen. Da liegt der Schlüssel auch zur Sanierung der öffentlichen Haushalte insgesamt. Wie dann das Verhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern aussieht, muss man zum Abschluss eines Sanierungsplans klären, nicht am Anfang.

SZ: Die CDU-Chefin Angela Merkel hat sich bereits fest gelegt: Eine Mehrwertsteuererhöhung werde es mit der Union nicht geben. Ist das voreilig? Merz: Nein. Frau Merkel hat gesagt, was wir alle sagen: Gegenwärtig sollten wir nicht über die Mehrwertsteuer, sondern über sozialpolitische Grundsätze diskutieren. Wenn die Regierung zum Beispiel auf den Gedanken käme, jetzt mit der Mehrwertsteuer die Haushaltslöcher zu stopfen, dann würde dies auf die einhellige Ablehnung der Union stoßen.

SZ: Angesichts leerer Kassen zweifeln gerade Unionspolitiker aus den Ländern an der Finanzierbarkeit der CDU-Reformvorschläge. Stört Sie der Kleinmut? Merz: Ich kann manches Zögern verstehen, weil die Länder den Versprechen des Bundes nicht mehr trauen. Deshalb sage ich immer wieder: Auch die Reform der Einkommensteuer kann nur gelingen, wenn wir aus der Beschäftigungskrise herauskommen. Wenn ein Land mit 82 Millionen Einwohnern auf Dauer nur noch rund 26 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte hat, werden wir alle anderen Probleme nie lösen. Die Möglichkeiten der Steuer- und Fiskalpolitik sind erkennbar am Ende. Entscheidend sind Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Wir müssen den Arbeitsmarkt öffnen.

SZ: Vor einer solchen Flexibilisierung haben die Menschen - anders als vor einer Steuerentlastung - aber Angst. Merz: Wir werden auf absehbare Zeit nicht versprechen können, dass es bequemer, leichter, lockerer wird. Wir stehen vor einem Jahrzehnt großer Anstrengungen. Es wird uns gelingen, dies der Bevölkerung auch zu vermitteln, weil die Wohlstandsverluste nach fünf Jahren Rot-Grün jetzt spürbar werden.

SZ: Besonders Sie verlangen, den Druck auf arbeitsfähige Arbeitslose zu erhöhen. Wie soll das denn gehen ohne Jobs? Merz: Ich plädiere nicht für Druck, sondern für marktwirtschaftliche Anreize, eine Arbeit anzunehmen. Mein Vorwurf richtet sich auch gar nicht gegen die Arbeitslosen, sondern gegen uns, gegen die Politik. Wir haben Jahrzehnte nicht darauf geachtet, welche falschen Anreize wir setzen. Dass wir in Deutschland genug Arbeit haben, kann man an der rasant wachsenden Schattenwirtschaft ablesen. Wir hätten vermutlich erhebliche soziale Unruhen, wenn nicht ein beträchtlicher Teil derjenigen, die auf Transfereinkommen angewiesen sind, ihr bescheidenes Einkommen in der Tausch- und Schattenwirtschaft aufbessern würden.

SZ: Was muss sich ändern? Merz: Wir brauchen eine umfassende Korrektur der Lohnfindungssysteme und der Sozial- und Arbeitslosenhilfe. Ein Beispiel: Die letzte Kindergelderhöhung der Regierung Helmut Kohl wurde - weil die SPD im Bundesrat darauf bestand - auch in voller Höhe auf Sozialhilfeempfänger übertragen. Das war ein klassischer Fall von gut gemeint und schlecht gemacht. Natürlich klingt es sehr fürsorglich, wenn auch Sozialhilfeempfänger von höherem Kindergeld profitieren sollen, obwohl das volle Kindergeld in den Sozialhilfesätzen schon enthalten ist. Den meisten von uns war nicht genügend klar, dass durch die zusätzliche Beteiligung an der Kindergelderhöhung das Lohnabstandsgebot erneut verletzt wurde. Die Folge: Die Arbeitsanreize für kinderreiche Sozialhilfeempfänger sind weiter gesunken.

"Die Unternehmen misstrauen der Politik zutiefst"

SZ: Viele Arbeitslosen sind aber nicht faul und wollen arbeiten. Die fühlen sich durch Ihre Äußerungen verletzt. Merz: Das meine ich ganz und gar nicht verletzend, und mir ist das Schicksal der Arbeitslosen alles andere als gleichgültig. Aber die Unternehmen stellen doch nicht ein, weil sie der Politik zutiefst misstrauen. Wir müssen auch den Unternehmen Anreize geben, Mitarbeiter einzustellen. Dazu brauchen wir betriebliche Bündnisse für Arbeit. Wir müssen das Tarifkartell aus Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden lockern. Dann wird auch wieder eingestellt.

SZ: Dennoch fühlen sich Arbeitslose von Ihnen verunglimpft. Merz: Das glaube ich nicht und das will ich auch nicht. Wenn sich jemand verunglimpft fühlen sollte, erwidere ich: Die größte soziale Ungerechtigkeit in Deutschland sind 4,5 Millionen registrierte und noch einmal 1,6 Millionen nicht registrierte Arbeitslose.

SZ: Wenn die Unionspläne Wirklichkeit werden, gibt es in 20 Jahren keinen Kündigungsschutz mehr, und die Löhne gehen nach unten. Merz: Wir werden auf absehbare Zeit nur noch geringe Reallohnzuwächse haben und eine Spreizung der Löhne nach unten für einfache Arbeiten bekommen. Und zum Kündigungsschutz sehen wir uns doch unsere Nachbarn an: Die Schweiz hat ihn nicht, dafür aber Vollbeschäftigung.

SZ: Auch SPD-Parteichef Franz Müntefering sagt, es könne nicht sein, dass in Deutschland Polen statt Deutscher Spargel stächen. Was ist zu tun? Merz: Ich hätte mir gewünscht, er wäre zu dieser Erkenntnis fünf Jahre früher gekommen. Man muss allen Arbeitsfähigen sagen, dass sie zunächst für sich selbst sorgen müssen, bevor die Allgemeinheit für sie sorgt. Wegen der falsch gesetzten Anreize bekommt man in Deutschland keine Arbeitskräfte für einfache Tätigkeiten. Das wissen alle SPD-Kommunalpolitiker, doch sobald die Kameras eingeschaltet sind, wird das bestritten. Es gibt eine große Heuchelei bei diesem Thema. Über diese Dinge müssen wir offen reden, und die Mehrheit wird uns dabei folgen, wenn wir sagen: Derjenige, der arbeitet, soll grundsätzlich mehr Geld verdienen als derjenige, der nicht arbeitet und soziale Transferleistungen erhält ...

SZ: ... was der Union im Wahlkampf 2006 den Vorwurf einbringen wird, sie wolle die Fronarbeit einführen. Merz: Es wird sicher einige Berufsfunktionäre geben, die versuchen werden, die Menschen aufzuhetzen. Aber wir werden die Mehrheit der Bevölkerung auf unserer Seite haben, wenn es darum geht, die fundamentalen Probleme in unserem Land zu lösen. Und dazu werden wir ein anspruchsvolles, aber geschlossenes und widerspruchsfreies Konzept vorlegen.

© SZ vom 17.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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